INTERVIEW
„Es gibt einen klaren Nutzen durch die Früherkennung von Lungenkrebs“
Die Deutsche Röntgengesellschaft setzt sich seit Langem dafür ein, dass starken Raucherinnen und Rauchern ab einem bestimmten Alter eine Lungenkrebsfrüherkennung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung angeboten wird. Wichtige rechtliche Schritte hin zu einer solchen Früherkennung wurden bereits erreicht. Über den Umsetzungsstand bei der Lungenkrebsfrüherkennung haben wir mit Univ.-Prof. Dr. Gerald Antoch, stellvertretender Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft und Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Düsseldorf, gesprochen.
Prof. Dr. Gerald Antoch, Stellvertretender Präsident der DRG © DRG/Thomas RafalzykProfessor Antoch, 2018 wurde die S3-Leitlinie Lungenkarzinom aktualisiert. Sie enthält seitdem eine Kann-Empfehlung zur Früherkennung des Lungenkarzinoms mit Niedrigdosis-Computertomografie, sobald die rechtlichen Grundlagen dafür gegeben sind. Auf welcher Grundlage wurde seinerzeit diese Empfehlung ausgesprochen?
Professor Antoch: Die Leitlinie sieht vor, dass asymptomatischen Risikopersonen eines definierten Alters und einer definierten Raucheranamnese eine Früherkennung von Lungenkrebs angeboten werden kann. Das ist tatsächlich eine Kann-Empfehlung. Die Grundlage dafür sind verschiedene internationale Studien, die nachgewiesen haben, dass in einem definierten Risikokollektiv die Sterblichkeit durch Lungenkrebs im Rahmen einer CT-basierten Lungenkrebsfrüherkennung nachweislich gesenkt werden kann. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) beschreibt in seinem aktuellen Bericht, auf den wir sicher noch näher eingehen werden, eine statistisch signifikante Reduktion der Lungenkrebsmortalität von 15 Prozent durch die Lungenkrebsfrüherkennung mit CT, wenn man die verschiedenen Studienergebnisse zusammenfasst. Der medizinische Hintergrund sind natürlich die höheren Heilungschancen beim Nachweis früherer Tumorstadien im Rahmen der Früherkennung. Das ist die wissenschaftliche Grundlage, auf die sich die Leitlinie stützt. Es gibt aber noch eine zweite, rechtliche Grundlage, die mit dem Strahlenschutzgesetz verknüpft ist. Bei der Novelle des Strahlenschutzgesetzes ist ein Paragraph zum Thema Früherkennung neu in das Gesetz aufgenommen worden, § 84. Dieser ermöglicht eine Früherkennung unter Anwendung ionisierender Strahlen, wenn – ich zitiere aus dem Gesetzestext: „...mit einem wissenschaftlich anerkannten Untersuchungsverfahren eine schwere Krankheit in einem Frühstadium erfasst werden kann und so die wirksame Behandlung einer erkrankten Person möglich wird.“
Wie ist der aktuelle Umsetzungsstand beim Thema Lungenkrebsfrüherkennung?
§ 84 des Strahlenschutzgesetzes legt auch fest, dass eine Früherkennung mit ionisierenden Strahlen nur durchgeführt werden darf, wenn es eine entsprechende Rechtsverordnung gibt. Diese erlässt das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV). Vorher muss aber die wissenschaftliche Evidenz einer solchen Maßnahme geprüft werden, wofür laut § 84 des Strahlenschutzgesetzes das BfS zuständig ist. Fällt die Bewertung durch das BfS positiv aus, kann die Rechtsverordnung durch das Bundesministerium erstellt werden. Erfreulicherweise hat das BfS inzwischen die Lungenkrebsfrüherkennung wissenschaftlich positiv bewertet und empfohlen, diese zu einem strukturierten Vorsorgeprogramm für bestimmte Personen zu entwickeln. Das Bundesamt hat mittlerweile seinen Bericht im Bundesanzeiger veröffentlicht. Die Rechtsverordnung des BMUV erwarte ich Mitte dieses Jahres, vielleicht aber auch erst im Herbst.
Ab wann schätzen Sie, dürfen Patientinnen und Patienten mit einem Früherkennungsangebot zum Lungenkrebs rechnen?
Theoretisch hat das BMUV nun bis zu 12 Monate Zeit, die Verordnung zu erarbeiten. Ich hoffe aber nicht, dass das Ministerium den Zeitrahmen ausschöpft. Nach der Verordnung geht das Thema an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), der 18 Monate Zeit hat, darüber zu beraten. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hatte bereits im Auftrag des G-BA eine Evidenzprüfung der Lungenkrebsfrüherkennung mit Niedrig-Dosis-CT vorgenommen und kam ebenfalls zu einer positiven Einschätzung. Vor diesem Hintergrund ist es denkbar, dass im Rahmen des G-BA-Verfahrens die Evidenz nicht noch einmal geprüft wird. Ich bin mir sehr sicher, dass es ein strukturiertes Früherkennungsprogramm für Lungenkrebs geben wird, das von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert wird. Unter optimalen Bedingungen wird so ein Programm 2024 starten können.
Welche Rolle spielt die Radiologie in einem solchen Früherkennungsprogramm?
Die Radiologie spielt über die Niedrigdosis-Computertomografie, die im Rahmen eines solchen Programms zur Anwendung kommt, eine zentrale Rolle. Radiologinnen und Radiologen werden diese Untersuchung durchführen und für die Qualitätssicherung ebenso verantwortlich sein, wie für die Befundung. Hinzu kommt, dass Radiologinnen und Radiologen auch an einem Wechsel aus der Früherkennung in die klinische Versorgung im Falle eines abklärungsbedürftigen Befundes über weiterführende Diagnostik und gegebenenfalls Therapie beteiligt sein werden.
Die Deutsche Röntgengesellschaft engagiert sich stark beim Thema Lungenkrebsscreening. Könnten Sie uns dieses Engagement genauer beschreiben?
Die DRG hat sich sehr früh um dieses Thema gekümmert und dabei mit der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin sowie der Deutschen Gesellschaft für Thoraxchirurgie eng zusammengearbeitet. Wir haben dabei initial überlegt, für welche Früherkennungsuntersuchungen es die größte Evidenz gibt. Dies ist bei der Lungenkrebsfrüherkennung der Fall. Wir haben dann 2018 eine gemeinsame Arbeitsgruppe gegründet und unter anderem ein gemeinsames Positionspapier verfasst. In dieser Arbeitsgruppe wurde die Radiologie übrigens nicht nur von der DRG, sondern auch vom Berufsverband Deutscher Radiologen BDR vertreten. Diese Kooperation innerhalb der Radiologie war und ist wichtig. Gemeinsam haben wir innerhalb dieser Arbeitsgruppe auch erarbeitet, wie aus unserer Sicht ein solches Früherkennungsprogramm konkret aufgesetzt werden könnte. Mitglieder dieser Arbeitsgruppe waren auf Einladung des BFS ab 2019 Teil der dort angesiedelten Sachverständigengruppe, die an der Erstellung des bereits erwähnten Berichts mitgewirkt hat. Durch Kooperation mit Bündelung von Interessen und Kompetenzen lässt sich ein Ziel häufig leichter erreichen, als alleine – in diesem Fall ein Früherkennungsprogramm für Lungenkrebs, von dem insbesondere die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Programms, aber auch Leistungserbringer und Kostenträger profitieren werden.
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