INTERVIEW

„Schlüsselthema für die Radiologie ist die innerärztliche Vernetzung.“

© MehlEberhard Mehl hat mit dazu beigetragen, dass die Hausärzte und Hausärztinnen in Deutschland heute zu einer der einflussreichsten Facharztgruppen in Deutschland zählen. Im Interview blickt der ehemalige Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hausärzteverbandes und heutige Geschäftsführer der doc of the world management GmbH auf die Zeit des Auf- und Umbruchs zurück und erläutert, welche Parallelen er zwischen Hausärzten und Hausärztinnen damals und Radiologen und Radiologinnen heute sieht.

Herr Mehl, die Hausärzte und Hausärztinnen haben Ende der 1990er, Anfang der 2000er Jahre, einen Wandel eingeleitet von einer eher randständigen Arztgruppe hin zu einer anerkannten und einflussreichen Facharztgruppe. Vor welchen Herausforderungen standen damals die Hausärzte und Hausärztinnen?
In den 1990er Jahren befanden sich die Hausärzte in Deutschland im Vergleich zu ihren fachärztlichen Kolleginnen und Kollegen in einer prekären Situation. Jahr für Jahr wurde der hausärztliche Anteil an der Gesamtvergütung, aber auch der Leistungskatalog kleiner. Die hausärztliche Versorgung mutierte zu einer Resterampe der vertragsärztlichen Versorgung. Als Hausarzt tätig zu sein, war für angehende Ärztinnen und Ärzte zunehmend uninteressant geworden.

"Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass der damals noch 'schwächliche' Hausärzteverband weder von den Selbstverwaltungseinrichtungen noch von der Politik wirklich ernst genommen wurde und unser Tun als 'naive Träumerei' oder gar als 'Majestätsbeleidigung' abgetan wurde."

Sie haben den Transformationsprozess seinerzeit aktiv begleitet. Welche Rolle hatten Sie genau?
Ich bin mit 32 Jahren Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hausärzteverbandes geworden. Davor hatte ich auf der Krankenkassenseite beim AOK Bundesverband gearbeitet. Ich war sehr überrascht, wie der Hausarztverband damals funktionierte: Er war zu der Zeit im Grunde eine reine Wahlkampfplattform. Man hat sich um Wahlen gestritten, untergeordnet ging es um Kammerwahlen, meistens um Wahlen zu den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV). Dort wurde dann mit denjenigen, die aus dem eigenen Lager gewählt worden waren, Politik gemacht. Man konnte sich tage- und nächtelang über EBM-Positionen streiten und über Macht- und Personenspiele in der ärztlichen Selbstverwaltung.

Das Interessante war, dass der damalige Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Professor Klaus-Dieter Kossow – einer der berufspolitischen Granden der deutschen Hausärzte – damals sehr konsequent angefangen hat, neben der Arbeit in den Körperschaften eigenständig Politik für die Hausärzte zu machen. Das war etwas, was die Verbände damals nicht kannten und einer der Gründe, warum ich als Hauptgeschäftsführer eingestellt wurde. Eine meiner Kernaufgaben bestand darin, komplett eigenständige Positionen im Verband zu entwickeln und diese dann – durchaus auch gegen die Interessen der ärztlichen Körperschaften – durchzusetzen. Das hat zu großen Irritationen bei den hausärztlichen Funktionsträgern in den KVen und Ärztekammern geführt. Die haben das überhaupt nicht verstanden und gesagt: Wir machen hier die Politik – ihr könnt uns ein bisschen unterstützen, aber ihr könnt nicht eigenständig nach Bonn gehen und ebenfalls Politik machen. Damals war Bonn noch Hauptstadt. Als die Bundespolitik nach Berlin umzog, haben wir dort sofort eine Dependance des Hausärzteverbandes aufgebaut, eigene Veranstaltungen organisiert und intensiv Lobbying betrieben. Dieses selbstständige Vorgehen hat uns als Verband insgesamt sehr stark geholfen.

In meiner Funktion als Hauptgeschäftsführer war ich sehr häufig als hausärztlicher Interessenvertreter in den Körperschaften wie auch in der politischen Welt unterwegs. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass der damals noch „schwächliche“ Hausärzteverband weder von den Selbstverwaltungseinrichtungen noch von der Politik wirklich ernst genommen wurde und unser Tun als „naive Träumerei“ oder gar als „Majestätsbeleidigung“ abgetan wurde. Für uns als Verband und für die durch ihn vertretenen Hausärzte war es aber ungemein wichtig, ein klares Ziel und auch Repräsentanten zu haben, die die berufspolitischen Interessen klar und unmissverständlich vertreten haben. Parallel dazu hatten wir begonnen, uns auch wirtschaftlich neu aufzustellen, weil wir festgestellt hatten, dass ein reiner Verband wirtschaftlich zu schwach ist, um sich durchsetzen. Wir haben nach und nach Fortbildungsstrukturen aufgebaut – daraus ist ein „kleiner ADAC“ für Hausärztinnen und Hausärzte entstanden, über den wir zahlreiche Produkte und Serviceleistungen angeboten haben.

Mit welchen konkreten Maßnahmen ist es gelungen, Hausärzte und Hausärztinnen wieder als wichtige Akteure und Akteurinnen im Gesundheitswesen zu positionieren?
Insbesondere mit drei Maßnahmen ist es uns gelungen, den Hausarztberuf wieder als attraktive ärztliche Profession auf Augenhöhe zu positionieren:

1.) Mit der Einführung der fünfjährigen Weiterbildungszeit für Allgemeinmedizin wurden aus den sogenannten „Barfußärzten" vollwertige Fachärzte. Von zentraler Wichtigkeit war und ist dabei die inhaltliche Ausgestaltung der Weiterbildungsordnungen, aus denen sich ja die konkreten Versorgungs- und damit letztendlich die Honorarbereiche ableiten und dies in klarer Abgrenzung gegenüber den anderen Fachgruppen.

2.) Mit der durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz im Jahr 2000 vorgenommenen Trennung der Gesamtvergütung in einen hausärztlichen und einen fachärztlichen Honorartopf wurden die Honorarabflüsse innerhalb der Gesamtvergütung regelhaft gestoppt. Darüber hinaus hatten auch die Nachwuchsprobleme in der hausärztlichen Versorgung dazu geführt, dass Hausärztinnen und Hausärzte pro Kopf heute deutlich besser in den KVen honoriert werden.

3.) Ein anderer Grund für die zunehmend bessere hausärztliche Vergütung war die erfolgreiche gesetzliche Etablierung der Selektivverträge mit für die Gesetzliche Krankenversicherung verpflichtenden Hausarztzentrierten Versorgungsverträgen (HZV / § 73b SGB V). Die außergewöhnlichen Erfolge, die hier erzielt werden konnten, haben die wirtschaftliche Situation der Hausärzte nicht nur unmittelbar verbessert, sondern auch die Verhandlungspositionen in den KVen entscheidend gestärkt.

"Wichtig ist bei allen Schritten, dass die Ärzte stets 'die Hosen anhaben' und die Kontrolle über das Geschehen behalten, aber gleichzeitig nicht versuchen, die besseren Juristen, Verhandler oder Informatiker zu sein."

Versorgungsverträge mit den gesetzlichen Krankenkassen abzuschließen, war und ist sicherlich kein einfaches Unterfangen oder?
Das kann ich nur unterstreichen. Um Konzepte für Verträge mit den Krankenkassen zu entwickeln, die auch von den KVen unterstützt werden, mussten wir zunächst einmal die eigene Vertragskompetenz signifikant stärken, denn es ist in der Tat nicht so einfach, einen Vertrag mit einer Krankenkasse zu verhandeln. Dazu gehört Know-how und Verhandlungsgeschick, denn die Kassenseite ist unglaublich erfahren in Bezug auf das Führen von Verhandlungen und das Erarbeiten von Verträgen.

Aber wir haben das gelernt und das eigenständige Vertragsgeschäft mit den Krankenkassen im Selektivvertragsbereich hat sich zum erfolgreichsten Leistungsbereich des Hausärzteverbandes entwickelt. In den Anfängen war das damit betraute Team noch klein, aber wir konnten im Laufe der Zeit eine große Unternehmensgruppe unterhalb des Verbandes aufbauen. Aus 14 Mitarbeitern sind über die Jahre 340 geworden, was sich natürlich auch in wirtschaftlicher Hinsicht positiv bemerkbar machte. Bei diesem Prozess habe ich größtenteils die zentrale operative Funktion als Vorstandsvorsitzender der Unternehmensgruppe gespielt.

Ich muss aber auch sagen: Eigentlich ist der Abschluss eines Vertrages noch Spaß, erst danach wird es richtig ernst. Am Ende ist man zu 40 Prozent ein juristisches Unternehmen, das die Ärzte in den Verhandlungsprozess integriert hat, und zu 60 Prozent ein IT-Unternehmen, das die Einschreibungen sichtet, die Prozesse begleitet und mit den Kassen die Abrechnungen durchführt und kontrolliert. Wichtig ist bei allen Schritten, dass die Ärzte stets „die Hosen anhaben“ und die Kontrolle über das Geschehen behalten, aber gleichzeitig nicht versuchen, die besseren Juristen, Verhandler oder Informatiker zu sein.

Welche Parallelen erkennen Sie zwischen den Hausärzten und Hausärztinnen damals und der Situation der Radiologen und Radiologinnen heute?
Die Radiologen sind zurzeit ebenfalls in einer eher defensiven Position. Gerade jetzt wäre sicherlich ein guter Zeitpunkt, wenn die „Granden“ sich auf ein strategisches Konzept einigen würden, das aus meiner Sicht jedoch zwingend ambitioniert und wegweisend sein müsste. Wenn ein solches Konzept dann noch so weitsichtig angelegt ist, dass es nicht nur die eigenen Reihen schließt, sondern auch noch andere Facharztgruppen begeistert, dann entsteht genug „Schwungmasse", um Versorgungsstrukturen, aber auch die eigene Position nachhaltig zu verbessern. Dafür braucht es eine in der Radiologie eindeutig legitimierte und hochakzeptierte Interessenvertretung, die selbstbewusst und mit klaren Konzepten gegenüber Politik, Krankenkassen und ärztlichen Körperschaften auftritt.

"In vielen Diskussionen, die ich mitbekomme, auch bei den Kassen, wird der ärztliche Anteil der Radiologie unterschätzt, wie auch damals der ärztliche Anteil der Hausärzte unterschätzt wurde."

Bei den Hausärzten war es ja damals so, dass sie, wie gesagt, von der restlichen Ärzteschaft schleichend zu „Barfußärzten“ degradiert wurden. Die Radiologen heute laufen Gefahr, von Ärzten zu technischen Dienstleistern herabgestuft zu werden. Das ist gefährlich. In vielen Diskussionen, die ich mitbekomme, auch bei den Kassen, wird der ärztliche Anteil der Radiologie unterschätzt, wie auch damals der ärztliche Anteil der Hausärzte unterschätzt wurde. Das führt dazu, dass alle sagen: Ach, wenn die Radiologen keine richtigen Ärzte mehr sind, sondern nur technische Dienstleister, dann können wir das ja auch machen. Technische Dienstleistung kriegt ja schließlich jeder hin. Das ist dann nur noch eine Frage des Investments und nicht mehr der ärztlichen Kompetenz. Die Radiologen müssen sich deshalb – ähnlich wie die Hausärzte damals – vollkommen neu definieren und aufstellen. Sie müssen wieder zu wirklichen Diagnostikern werden. Das ist das eine. Das andere betrifft die Abgrenzung der Radiologie zu anderen Fachgebieten. Ich beobachte, dass hier die Grenzen nicht mehr trennscharf sind. Man muss sie aber gegenüber den anderen Fachgruppen und auch gegenüber der Politik definieren und durchsetzen. Und man muss sich Fragen stellen wie: Welche Rolle hat die Radiologie in der Versorgung von Patientinnen und Patienten? Warum ist sie unverzichtbar? Das ist ein interner Prozess, an dessen Ende die Entwicklung eines politischen Konzeptes stehen sollte.

Was ist aus Ihrer Sicht der Schlüssel, damit die Radiologie ihre Position in der medizinischen Grundversorgung erhalten oder sogar ausbauen kann?
Schlüsselthema für die Radiologie ist die innerärztliche Vernetzung. Die Radiologie wird sich immer in einem vernetzten Umfeld bewegen, weil sie stets in Kooperation mit anderen Fachgruppen arbeitet. Intensivieren könnte die Radiologie die Vernetzung mit den Hausärzten, denn darüber könnte die Chance bestehen, sich stärker in der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung zu verankern und damit einen Zugang etwa zu dem Bereich Selektivverträge zu finden. Wichtig ist meiner Ansicht nach, dass die Radiologen Ideen entwickeln und dabei besonders die Schnittstellen zwischen dem ambulanten und dem stationären Versorgungsbereich im Blick behalten, denn dies ist seit Jahren ein Problem im Gesundheitswesen. Wer diese Schnittstelle löst, trägt unmittelbar zur Zukunftsfähigkeit unseres Gesundheitssystems bei und dabei können Radiologen eine zentrale Rolle einnehmen – auf der Basis schlüssiger Konzepte. Diese müssen zudem so gut kommuniziert werden, dass es dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und den Selbstverwaltungseinrichtungen im Gesundheitswesen insgesamt schwerfällt, sie unberücksichtigt zu lassen.

"Intensivieren könnte die Radiologie die Vernetzung mit den Hausärzten, denn darüber könnte die Chance bestehen, sich stärker in der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung zu verankern und damit einen Zugang etwa zu dem Bereich Selektivverträge zu finden."

Wie könnte sich die Radiologie stärker in der gemeinsamen Selbstverwaltung einbringen?
Radiologinnen und Radiologen müssen sich über ihren Verband konzentriert in die Spitzen der großen Verbände einbringen, denn diese besetzen die entscheidungsrelevanten Funktionen in der Selbstverwaltung. Das ist ja zum Beispiel Ulrich Montgomery sehr gut gelungen, aber nicht als Radiologe, sondern weil er Vorsitzender des Marburger Bundes war. Die Radiologie muss zusehen, dass sie bei den anderen Fachärzten und fachärztlichen Verbänden eine große Rolle spielt. Dabei ist es ratsam, einen Verband zu wählen, der für einen fachlich wichtig ist, zum Beispiel der SpiFa, also der Spitzenverband der Fachärzte. Dieser Verband ist inzwischen enorm stark, kaum jemand hätte ihm diese Entwicklung zugetraut. Aber der SpiFa hat für sich die Chance genutzt, tief in die politische Szene und in die gemeinsame Selbstverwaltung einzuwirken. Genau hier, in der Selbstverwaltung, muss man sich nach vorne bringen und kann dann auch als kleine Gruppe, wie es die Radiologen sind, viel erreichen, wenn man energisch und gut ist.

Wichtig ist darüber hinaus eine stärkere fachliche Positionierung der Radiologie. Ich möchte an dieser Stelle einen Leistungsbereich nennen, in dem sich die Radiologie deutlich mehr als bisher einbringen sollte und dies etwa gegenüber der gemeinsamen Selbstverwaltung auch klarer machen müsste: Die Radiologie ist ja nicht nur in der Diagnostik tätig, sondern auch in der Therapie. Ich beobachte zum Beispiel Leute wie den Radiologen Dietrich Grönemeyer, der einen eigenen kleinen radiologischen Kosmos aufgebaut hat und hervorragende Selektivverträge abschließt. Warum, um Gottes Willen, kann man diesen Weg nicht variieren und insgesamt stärker machen? Denkbar wäre doch etwa, mehr in den Bereich Strahlentherapie und Onkologie zu gehen, oder auch in das Gebiet der Chirurgie, um nur einige Beispiele zu nennen und damit zu zeigen, was möglich wäre.

"Ich bin sicher, dass etwa der G-BA eigentlich nicht im Einzelnen weiß, welche Möglichkeiten die Radiologie bietet und das darf nicht sein."

Die Radiologie bietet viele Optionen im Bereich hochinnovativer und qualitativ guter medizinischer Anwendungen. Daran haben auch Krankenkassen und die Politik Interesse, denn sie wollen den Bürgerinnen und Bürgern ja eine moderne Versorgung anbieten und medizinischen Entwicklungen nicht immer hinterherlaufen. Für die Radiologie ist die Diagnostik der Kern, aber die Therapie wird in der Radiologie weit unterschätzt. Da könnte man mehr machen und auch deutlicher kommunizieren. Ich bin sicher, dass etwa der G-BA eigentlich nicht im Einzelnen weiß, welche Möglichkeiten die Radiologie bietet und das darf nicht sein.

"Ganz wichtig ist es, an sich selbst zu denken, dabei aber Lösungen für das deutsche Versorgungswesen insgesamt zu entwickeln."

Welche Akteuren und Akteurinnen sind Ihrer Ansicht nach für die Radiologie berufspolitisch als Partner und Partnerinnen noch wichtig – neben den bereits von ihnen genannten Hausärzten?
Wichtig zu wissen ist, dass Kooperationen etwa mit den Hausärzten auch auf Landesebene möglich sind, denn die Hausärzte sind föderal organisiert. Aber fast noch wichtiger als die Vernetzung ist es, ein Konzept zu haben, wohin man als Facharztgruppe möchte. Dabei sollte man sich Fragen stellen wie etwa: Was können wir sonst noch in Selektivverträgen oder in der ambulanten spezialärztlichen Versorgung anbieten? Wie können wir die Versorgung von Patienten in Deutschland verbessern?

Ganz wichtig ist es, an sich selbst zu denken, dabei aber Lösungen für das deutsche Versorgungswesen insgesamt zu entwickeln. Man darf nicht vergessen: Wir sind ein politisches System und die Politik sowie die gemeinsame Selbstverwaltung interessiert nur das, was der Gesamtheit nutzt. Das heißt, man muss Konzepte entwickeln, die die Versorgung von Patientinnen und Patienten wirklich verbessern. Man braucht also ein politisches, versorgungsorientiertes Konzept.

Müsste man nicht auch die Patienten und Patientinnen und ihre Verbände ins Boot holen oder sich zumindest mit ihnen „kurzschließen“?
Ich kann das nur unterstützen. Ich glaube, dass die Patienten eine wichtige und machtvolle Funktion haben könnten. Ich nutze gezielt den Konjunktiv, denn bis heute haben sie diese Funktion nicht. Dennoch sollte man den Kontakt zu den Verbänden von Patienten suchen und ausloten, ob man mit ihnen kooperieren kann. Klar ist: Patienten haben ein großes Interesse daran, dass nicht irgendwer Radiologie macht, sondern dass Spezialisten die bildgebende Diagnostik durchführen – und sie wollen von radiologisch-therapeutischen Ansätzen profitieren.

"Ziel muss es sein, innerhalb der eigenen Fachgruppe eine breite Basis aufzubauen und benachbarte Fächer einzubeziehen."

Welche Vorarbeiten muss die Radiologie ganz konkret und praktisch leisten, um ihr Ziel einer größeren Wahrnehmung und höheren Durchsetzungsstärke in den gesundheitspolitischen Arenen zu erreichen?
Einige Punkte habe ich genannt: politisch und berufspolitisch aktiv werden, eine klare, eigenständige und versorgungspolitische Positionierung erarbeiten und eine gute Verbandsorganisation aufbauen. Daneben braucht man gute Strukturen, denn Inhalte kann man nur in einer schlagkräftigen Struktur entwickeln. Ziel muss es sein, innerhalb der eigenen Fachgruppe eine breite Basis aufzubauen und benachbarte Fächer einzubeziehen. Im Fall der Radiologie könnte das zum Beispiel der Bereich der Strahlentherapie sein.

Wichtig ist, dass man sich eine Basis aufbaut, die es erlaubt, für das Fach insgesamt zu sprechen, sonst kann es passieren, dass die Politik einen zum Beispiel mit dem Hinweis abtut, dass man ja nur etwa 60 Prozent der Ärzte einer Fachgruppe repräsentiert. Untergruppierungen in einer Facharztgruppe bringen große Nachteile mit sich, sie sind sogar eine Katastrophe. Man braucht vielmehr Einheitlichkeit, die auf der Strukturseite durch eine schlagkräftige Organisation gestützt wird. Diese Struktur kann kein Verband sein, es muss eine Organisation sein, die Verträge schließen kann. Verbände können aufgrund ihrer Konstitution schlecht Verträge schließen, das hat haftungsrechtliche und weitere Gründe. Also müsste man zum Beispiel eine GmbH gründen oder eine AG, eine Genossenschaft wäre auch möglich. Dann kann man zum Beispiel auch anfangen, mit unterschiedlichen Maßnahmen Geld zu generieren, um kampagnenfähig zu werden. Aber kampagnenfähig sind sie erst dann, wenn ihnen auch die wirtschaftlichen Mittel zur Verfügung stehen und wenn sie hinter sich eine geschlossene Gruppe haben.

An dieser Stelle noch kurz ein anderes, nicht minder wichtiges Thema: Wie schätzen Sie den Einfluss von neuen Playern und Playerinnen/Investoren und Investorinnen auf das deutsche Gesundheitssystem ein und wie stark ist die Radiologie davon betroffen?
Ich glaube, bis zu diesem Punkt unseres Interviews war mir ein Großteil der Radiologen noch wohlgesonnen. Aber das könnte sich nun ändern, denn ich muss klar sagen, dass man Investoren nicht verhindern kann. Und wenn das so ist, sollte man sich fragen, zu welchen Lösungen man gemeinsam mit den Investoren kommen kann. Für junge Ärztinnen und Ärzte ist es heutzutage fast ausgeschlossen, eine große radiologische Praxis zu übernehmen. Im Einzelfall mag das funktionieren, aber nicht regelhaft. Deshalb könnte man sich überlegen, ob Investoren nicht auch nützen können. Man sollte sie nicht nur als „Feinde“ betrachten, zumal man sie, wie gesagt, ohnehin nicht verhindern kann. Stattdessen sollte man Konzepte entwickeln, die die Frage beantworten, welche interessanten Modelle man Investoren anbieten kann, ohne dass diese die Hoheit der Ärzte gefährden. Das geht aber nur bei Konzepten, bei denen es eine Gewinn- und Exit-Perspektive für die Investoren als Kooperationspartner gibt.

"Wir werden in den nächsten zehn Jahren eine sehr spannende Zeit haben, in der sich die Versorgungswelt völlig neu sortieren wird."

Wenn Sie nun abschließend einen Blick in die Glaskugel werfen: Wohin wird sich unser Gesundheitssystem entwickeln? Wie wird sich die medizinische Versorgung verändern?
Ich kann nur jedem raten, sich anzusehen, was Google und Amazon auf dem amerikanischen Gesundheitsmarkt aktuell machen. Die beiden Unternehmen kaufen auch bereits massiv auf dem deutschen Gesundheitsmarkt ein. Am stärksten von diesen Veränderungen betroffen sind im Moment sicherlich die Apotheker.

Ärztinnen und Ärzte fühlen sich noch untouchable, was aber in keinster Weise der Fall ist. Ich glaube, dass sie sehr stark von Veränderungen betroffen sein werden, unabhängig von Google oder Amazon. Diese Veränderungen sind für die Radiologie keine schlechte Nachricht, denn sie sind sehr von der Technik getrieben, was der Radiologie entgegenkommen wird. Im Zuge dieses Wandels wird es zum Beispiel durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz eine ganz andere Art der ärztlichen Tätigkeit geben, was sich ja schon jetzt andeutet. Hier stellt sich für die Radiologie die Frage: Was kann sie etwa in der Diagnostik leisten, wenn sie auf noch viel mehr Daten als bisher Zugriff hätte? Vielleicht ergeben sich über dieses Thema auch neue Kooperationsformen der Ärzte untereinander, etwa mit den Hausärzten.

Wenn Sie mich fragen: Die letzten Jahre waren, Corona einmal ausgenommen, behäbig spannend. Das Spannendste, was passiert ist, war das, was der Hausärzteverband mit seinen Selektivverträgen gemacht hat. Das beste Konzept übrigens ist weiterhin das der AOK Baden-Württemberg, wo Haus- und Fachärzte sehr eng zusammenarbeiten. Da ist eine vernünftige Versorgungsstruktur entwickelt worden. Wie kann man dieses oder ähnliche Modelle in die Zukunft tragen, wenn sich die technische Entwicklung immer rasanter vollzieht? Das ist der entscheidende Punkt. Das heißt, die langweilige Zeit ist nun vorbei, in der man nur in seiner Festung gesessen und der G-BA dafür gesorgt hat, dass wenig Innovationen in die flächendeckende Versorgung Einzug gehalten haben. Es wurden zwar einige Modelle gefahren, aber sehr wenige davon wirklich umgesetzt. Das waren immer nur „Oasen-Modelle“. Solange man Wasser beziehungsweise Geld reinfließen ließ, blühten diese Oasen, dann wurde der Hahn zugedreht und die alte Gesundheitswüste war wieder da. Das wird sich komplett ändern. Wir werden in den nächsten zehn Jahren eine sehr spannende Zeit haben, in der sich die Versorgungswelt völlig neu sortieren wird.

Vielen Dank für das Gespräch!