Deutsche Röntgengesellschaft e.V.
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Prof. Dr. Jürgen F. Schäfer © Universitätsklinikum TübingenBundesweit leiden drei bis vier Millionen Menschen an einer seltenen Erkrankung, darunter auch Kinder. Bei Kindern haben diese Erkrankungen oft genetische Ursachen, sie zeigen sich teils in einer Disposition zur Entwicklung von Tumoren. Prof. Dr. Jürgen F. Schäfer, Leiter der Kinderradiologie am Universitätsklinikum Tübingen, setzt bei der Diagnose und Therapie von betroffenen Kindern auf bildgebende Verfahren. Professor Schäfer ist stellvertretender Vorsitzender der AG Pädiatrische Radiologie der Deutschen Röntgengesellschaft sowie Sprecher der Forschungskommission der Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie.
Herr Professor Schäfer, mit welchen seltenen Erkrankungen bei Kindern haben Sie als Radiologe in Ihrem klinischen Alltag zu tun?
Professor Schäfer: In Tübingen wurde bereits 2010 das erste Zentrum für seltene Erkrankungen gegründet. Interessanterweise sind seltene Erkrankungen nämlich gar nicht so selten; man schätzt etwa, dass drei bis vier Millionen Patientinnen und Patienten in Deutschland an einer seltenen Erkrankung leiden. Eine Erkrankung wird dann als selten eingestuft, wenn weniger als 6 von 10.000 Menschen daran leiden. Bezogen auf Kinder ist es so, dass der größte Teil der seltenen Erkrankungen genetisch bedingt ist – rund 80 Prozent und daher bereits im Kindes- beziehungsweise Jugendalter klinisch manifest werden können. In der Pädiatrie des Universitätsklinikums Tübingen denken wir hierbei aber besonders auch an Tumorerkrankungen. Daher wurde 2017 auch ein Zentrum für seltene pädiatrische Tumore, hämatologische und immunologische Erkrankungen gegründet.
In der Radiologie werden nicht nur diagnostische Bilder erstellt. Insbesondere bei Tumorerkrankungen fungiert sie im gesamten Behandlungsverlauf als eine Art Schnittstelle. Mehr Informationen hierzu finden Sie auch in der Publikation „Radiologie in Deutschland. Ein Weißbuch“, Deutsche Röntgengesellschaft e.V. (Hrsg.), Berlin, 2019 (ISBN 978-3-00-062663-0) |
Ganzköper-MRT bei einem 5-jähriger Jungen mit einem PTEN-Hamartom-Tumor-Syndrom (PHTS). Es wurden verschiedene Tumorentitäten diagnostiziert: u.a. Lymphangiome, ein Lipoblastom und eine Nephroblastomatose. Die MRT wird regelmäßig zum Therapie-Monitoring wiederholt. Zur Zeit, Targeted Therapie mit Sirolimus.© Universitätsklinikum TübingenKönnten Sie uns beschreiben, wie die Rolle der Radiologie bei der Diagnostik und Therapie seltener Erkrankungen bei Kindern aussieht?
In Bezug auf das zuvor Gesagte ist es so, dass die Radiologie in der Diagnostik und im Therapiemanagement beziehungsweise in der Risikostratifizierung eine zentrale Rolle spielt. Wir nutzen daher alle diagnostischen und unter Umständen interventionellen Verfahren. In der Kinderradiologie sind wir häufig in jeder Phase des diagnostischen Abklärung eingebunden, insbesondere aber auch bei der Früherkennung von Patientinnen und Patienten mit Tumorprädispositionssyndromen. So wissen wir, dass etwa 10 Prozent aller Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen genetisch bedingt sind: Zu den Häufigeren gehören unter anderem das Li-Fraumeni Syndrom, das Constitutional mismatch repair deficiency syndrome (CMMRD), das hereditäre Paragangliom, aber auch, die wahrscheinlich bekanntere, Neurofibromatose Typ 1. Es hat sich gezeigt, dass durch bildgebende Früherkennungsmaßnahmen eine deutliche Verbesserung des Überlebens erreicht wird. Da viele dieser Tumorsyndrome eine erhöhte Empfindlichkeit für Schädigungen durch ionisierende Strahlung aufweisen, wird in der Diagnostik der Ultraschall, aber auch die MRT favorisiert. Insbesondere in Form der Ganzkörper-MRT findet die Früherkennung eine relativ neue, aber sehr wichtige Basis. Wir optimieren und implementieren gerade neue Sequenzverfahren zur Optimierung und Beschleunigung der Untersuchung.
Ist ein MRT gefährlich für mein Kind? Darf ich bei der Untersuchung dabei sein? Viele Fragen stellen sich für Eltern, wenn bei ihrem Kind eine Untersuchung im MRT ansteht. Im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ) hat die Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie (GPR) eine Elterninformation aufgelegt, die in verständlicher Sprache die Methode erklärt und Tipps für eine entspannte Untersuchung bereithält. Informationen hierzu finden Interessierte auf kinder-radiologie.org. |
Vor dem Hintergrund Ihrer ärztlichen Erfahrungen: Wie könnte die Perspektive Ihres Aufgabengebietes in Zukunft aussehen, etwa bei der künftigen Ausbildung von Radiologinnen und Radiologen?
Unsere Aufgaben sind vielschichtig. Wir müssen aber besonders darauf achten, dass wir im multidisziplinären Dialog auf Augenhöhe bleiben können. Daher sind Kenntnisse der genetischen und klinischen Grundlagen dieser Erkrankungen, aber auch das Handeln nach nationalen und internationalen Leitlinien sowie die aktive Beteiligung an der Forschung nicht zuletzt auch mit Methoden der künstlichen Intelligenz Voraussetzung, dass die Radiologie respektive Kinderradiologe auch in Zukunft wahrgenommen wird. Diesem Umstand sollte natürlich auch im Rahmen der radiologischen und kinderradiologischen Weiterbildung getragen werden.
Vergangenes Jahr ist eine Forschungskommission zum Thema seltene Erkrankungen bei Kindern gegründet worden. Sie werden das Hauptprojekt der Kommission leiten – um was geht es dabei genau?
Gegründet wurde die Forschungskommission von der Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie. Die Kommission will eine digitale Plattform umsetzen, über die bundesweit sowie in Österreich und der Schweiz Expertinnen und Experten radiologische Bilddaten zu seltenen Erkrankungen bei Kindern sammeln, auswerten und sich über Forschungsergebnisse sowie innovative Methoden austauschen. Die Plattform soll die Vernetzung universitärer, aber auch nicht-universitärer Kinder- und Jugendradiologinnen und -radiologen ermöglichen. Wir Kinderradiologinnen und Kinderradiologen versprechen uns dadurch langfristig noch mehr Effizienz in der Diagnostik und Therapie seltener Erkrankungen bei Kindern.
(Aktualisiert am 17. Februar 2022)