INTERVIEW

„Demokratisierung von KI im Gesundheitswesen“

OMI (Open Medical Inference) entwickelt ein offenes Protokoll zur Verbesserung der medizinischen Versorgung, indem KI-Modelle aus der Ferne für verschiedene Krankenhäuser nutzbar gemacht werden, ohne dass diese die KI-Modelle lokal betreiben müssen. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) innerhalb der Medizin-Informatik-Initiative (MII) gefördert und zielt darauf ab, den semantisch interoperablen Austausch von multimodalen Gesundheitsdaten zu erleichtern. Wir sprachen mit Prof. Dr. med. Felix Nensa vom Universitätsklinikum Essen, der das Projekt leitet.

Sehr geehrter Herr Professor Nensa, würden Sie bitte skizzieren, was das OMI-Projekt beinhaltet und auch darauf eingehen, was Ihre Ziele sind?

Prof. Dr. med. Felix Nensa Universitätsklinikum EssenDer Hintergrund des Projekts ist die zunehmende Anzahl von KI-Anwendungen in der Klinik, besonders in der Radiologie, aber auch in anderen medizinischen Disziplinen. Eine Uniklinik kann ihre KI-Anwendungen vielleicht selbst betreiben, aber andere, wie niedergelassene Radiologen, könnten Schwierigkeiten haben, eine Vielzahl von KI-Applikationen lokal zu betreiben. Es wird daher Plattformen geben müssen, auf denen diese Anwendungen zugänglich sind, wahrscheinlich in der Cloud.

Das Problem bei Cloud-Plattformen ist die Marktverteilung. Am Ende wird es vermutlich nur wenige große Plattformen geben, ähnlich wie bei Smartphones, wo man praktisch nur noch zwischen iOS und Android wählen kann. Diese Konzentration führt zu einem Ungleichgewicht der Marktkräfte und schränkt die Wahlfreiheit der Anwender ein. Wenn nun akademische Anbieter ihre KI-Anwendungen anbieten möchten, sei es für die Forschung oder als zugelassene Medizinprodukte, könnten sie ausgeschlossen werden, wenn der Markt von wenigen großen, möglicherweise nicht europäischen Plattformen dominiert wird. Das wollen wir vermeiden.

Unser Ziel mit OMI ist es, diesem Trend entgegenzuwirken. Wir können keine eigene Plattform bauen, da uns die Ressourcen fehlen, aber wir können offene Protokolle und Spezifikationen für die Teilnahme an solchen Plattformen erstellen. Das ist der Kern von OMI: eine offene Beschreibung eines Netzwerks von KI-Anbietern, das sowohl Anbieter als auch Nutzende von KI-Diensten vereint. Dieses Netzwerk muss nicht zentralisiert sein, sondern kann verteilt funktionieren. Jeder, der bestimmte KI-Dienste im OMI-Netzwerk anbieten möchte, kann dies tun, und andere Teilnehmer können diese Dienste nutzen, ohne dass alles von einem zentralen Anbieter kontrolliert wird. Das ist das zentrale Konzept von OMI.

Eine solche Maßnahme würde die Teilhabe an Einrichtungen wie Universitäten, Forschungseinrichtungen und Krankenhäusern fördern oder?

Ja, man kann es auch Demokratisierung von KI im Gesundheitswesen nennen …

… und das nicht nur in Deutschland, sondern mit weltweiter Perspektive?

Absolut. Dies ist ein vom BMBF gefördertes Projekt innerhalb der Medizin-Informatik-Initiative (MII), weshalb der Schwerpunkt auf Deutschland liegt. Wir setzen jedoch vollständig auf internationale Technologien und versuchen nicht, völlig neue Wege zu gehen. Wo es bereits bestehende Lösungen gibt, nutzen wir diese. Bei den Infrastrukturkomponenten nutzen wir zum Beispiel das Data Sharing Framework der Medizin-Informatik-Initiative.
Dabei verwenden wir etablierte Technologien und Strukturen, die im Rahmen der MII geschaffen wurden. Wir arbeiten auch mit der gematik zusammen, die als unterstützender Partner dabei ist, um zu gewährleisten, dass verschiedene Netzwerkebenen harmonisch zusammenarbeiten. In unserer ersten Implementierungsphase innerhalb der MII verwenden wir das Data Sharing Framework der MII, welches später durch die Telematik-Infrastruktur der gematik ersetzt werden kann. So können auch andere Akteure, die außerhalb des MII-Kontexts agieren, eingebunden werden. Unser Ziel ist es, einen globalen Standard für die demokratische Teilhabe an KI im Gesundheitswesen zu schaffen.

Auf welche Standards setzen Sie mit der OMI-Plattform?

Für die OMI-Plattform nutzen wir hauptsächlich FHIR und DICOM. DICOM ist für den Transport und Austausch von Bilddaten sowie großen Dateien wie Audiodateien, EEGs, EKGs und PDF-Dokumenten zuständig. FHIR wird für die restlichen Daten verwendet. Wichtige Bausteine sind auch bestehende Terminologien und Ontologien, die wir übernehmen, statt sie neu zu entwickeln. Zudem setzen wir auf etablierte Web-Technologien wie HTTP und HTTPS und vermeiden, das Rad neu zu erfinden.

Welche Institutionen werden Zugang zu den Ressourcen der OMI-Plattform haben?

Während der Projektlaufzeit ist der Zugang aus organisatorischen Gründen auf die Teilnehmer des OMI-Konsortiums und einige assoziierte Partner beschränkt, einschließlich Industriepartnern. Später soll der Zugang jedoch global sein. OMI ist dezentralisiert, und die zentrale Komponente, die OMI-Registry, dient nur als Verzeichnis, um Dienste und deren Anbieter aufzulisten.

Die Kommunikation erfolgt direkt zwischen den Nutzenden. Beispielsweise könnte ein Radiologe in der Inneren Mongolei einen KI-Dienst des Uniklinikums Essen anfordern. Die Entscheidung, diesen Dienst bereitzustellen, liegt allein bei der Uniklinik Essen und hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie der regionalen Anwendbarkeit der KI-Modelle oder rechtlichen Rahmenbedingungen. Es kann auch andere Gründe geben, warum Dienste nicht bereitgestellt werden: z.B. begrenzte Ressourcen oder kommerzielle und regulatorische Überlegungen.

Die Demokratisierung der KI bedeutet nicht nur den Zugang für die Wissenschaft, sondern auch für kommerzielle Anbieter. Letztendlich sollen diese Entscheidungen zwischen den beteiligten Marktteilnehmern ausgehandelt werden, nicht von OMI.

Ein Blick in die Zukunft: Welche Vorteile werden die Nutzenden haben, wenn das Projekt seine Ziele erreicht hat?

Als Nutzer von KI habe ich die Wahl zwischen verschiedenen Plattformen, ähnlich wie bei iPhone und Android. Auf den großen Plattformen bin ich jedoch an deren Konditionen gebunden, muss deren Preise zahlen und kann nur die von ihnen zugelassenen Apps nutzen. Im Gegensatz dazu erlaubt das OMI-Netzwerk jedem, der die Regeln einhält, teilzunehmen und seine Dienste anzubieten. Das ermöglicht den Nutzenden mehr Freiheit bei der Auswahl und Nutzung von KI-Anbietern.

Ein Beispiel: Apple-Nutzende waren bisher auf die Apps im App-Store beschränkt, während Android-Nutzende mehr Freiheiten hatten, etwa durch Sideloading. Wir möchten, dass KI-Nutzende frei entscheiden können, welche Anbieter sie wählen und zu welchen Konditionen, ohne dass ein großer Plattformanbieter die Marktmacht hat.

Auch für Anbieter ist es vorteilhafter, da sie sich nicht den Regeln eines Plattformbetreibers unterwerfen müssen. Wer eine iPhone-App entwickelt hat, weiß, wie streng Apple seine Regeln durchsetzt und dass man leicht aus dem Store geworfen werden kann. Das kann für kleine Firmen existenzbedrohend sein.

Akademische Nutzende haben oft Schwierigkeiten, ihre Anwendungen auf den Markt zu bringen, da es keine effizienten Integrationsmöglichkeiten gibt. Mit der zunehmenden Zahl von KI-Anwendungen wird es für Unikliniken unmöglich, Hunderte oder Tausende von Applikationen individuell zu betreiben. Deshalb streben wir einen offenen Standard an.

Wir sprechen über global funktionierende Prozesse: Gibt es andere Initiativen, die andere Standards etablieren möchten, als es das OMI-Projekt anstrebt?

Kommerzielle Anbieter schaffen oft ihre eigenen Standards, wodurch Nutzer in deren Abhängigkeit geraten. Die Industrie verfolgt andere Interessen. Insbesondere börsennotierte Konzerne, die den Wert für ihre Aktionäre maximieren wollen. Dies geschieht oft durch das Schaffen von Lock-in-Mechanismen anstatt offener Standards. Kartellbehörden und die EU versuchen, die Verbrauchenden vor der Marktmacht großer Unternehmen zu schützen. Kleine Anbieter von KI-Applikationen hingegen unterstützen offene Standards, da sie nicht die Macht haben, den Markt zu dominieren. Sie bevorzugen Netzwerke mit gleichen Regeln für alle, wo sich der beste Dienst durchsetzen kann. Allerdings sind sie zu klein, um solche Standards selbst zu schaffen und müssen sich auf das Überleben im Markt konzentrieren.

Es ist deshalb entscheidend, dass der Kooperation zwischen Wissenschaft, Fachgesellschaften und diesen kleineren Unternehmen staatliche Unterstützung zukommt, um offene Standards zu etablieren. Diese Standards sollten von den Nutzenden gefordert werden, um Druck auf die großen Anbieter auszuüben, sie zu übernehmen. Unser Ziel ist es, das OMI-Protokoll so attraktiv zu gestalten, dass es von den Nutzenden bevorzugt und eingefordert wird.

Es spricht nichts dagegen, dass eine kommerzielle Plattform ihre proprietären Standards anbietet. Nutzer könnten jedoch verlangen, dass die Dienste auch über das OMI-Protokoll verfügbar sind, um bei Bedarf einfacher wechseln zu können. Zum Beispiel könnte eine Radiologie-Praxis sagen: "Ich möchte deine Plattform nutzen, aber über das OMI-Protokoll, um bei zukünftigen Änderungen der Konditionen flexibel zu bleiben." Die Nutzung offener Standards verhindert, dass man in einer Abhängigkeitsfalle landet.

Sehr geehrter Herr Professor Nensa, haben Sie Dank für das Gespräch.