Interview

Radiologie und Raupen: Mikro-CT- und MRT-Studien an Tabakschwärmer-Raupen treiben die Entzündungsforschung voran

Beim diesjährigen RÖKO DIGITAL wurde Anton Windfelder vom Universitätsklinikum Gießen mit dem Young Investigator Award der Deutschen Röntgengesellschaft ausgezeichnet. Die Jury würdigte seine Forschung als “besonders zukunftsweisend”. Mit der Mikrocomputertomographie an Tabakschwärmer-Raupen enthüllen Windfelder und sein Team unbekannte anatomische Strukturen und tragen damit zur Erforschung von Darmentzündungen, wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, bei. In diesem Interview spricht er über seine Entdeckungen, die Bedeutung der Tabakschwärmer als Tiermodell und die Rolle von Augmented und Virtual Reality in der Lehre.

Manduca sexta - Darstellung im Micro-CT © Anton WindfelderHerr Dr. Windfelder, Sie haben mithilfe von Mikrocomputertomographie die Raupen des Tabakschwärmers untersucht. Dabei entdeckten Sie neue anatomische Strukturen. Was fasziniert Sie besonders an dieser Forschungsarbeit?

Wir haben den Darm der Insekten untersucht und mehrere Blinddärme entdeckt, die bisher unbekannt waren. Wir haben die Tabakschwärmer-Raupen als alternatives Tiermodell für Darmentzündungen etabliert, insbesondere für Krankheiten wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Mithilfe der Micro-CT konnten wir das Verdauungssystem der Tabakschwärmer detailliert untersuchen und neue Strukturen im Darm feststellen, darunter die hexagonale Struktur des Hinterdarms und mehrere rudimentäre Blinddärme. Diese Entdeckungen sind faszinierend, da man bisher davon ausging, dass die Därme von Raupen einfach und zylindrisch sind. Wir konnten zeigen, dass gerade der vordere Mitteldarm und der Hinterdarm viel komplexer sind als gedacht. Für unsere Forschung konzentrieren wir uns auf den Mitteldarm, da hier die Vergleichbarkeit zwischen Säugetieren, einschließlich des Menschen, und Raupen am größten ist. Die Histologie und Anatomie des Mitteldarms sind nahezu identisch. Besonders vorteilhaft ist, dass der Mitteldarm zylindrisch verläuft, was die Bestimmung von Darmwanddicke und Kontrastmittelanlagerung erleichtert und somit eine gute Aussage über Darmentzündungen ermöglicht.

Anton Windfelder (Mitte) © Kim Weigand| IME FraunhoferSie suchen nach Gemeinsamkeiten zwischen dem Tabakschwärmer und dem Menschen im Darmbereich. Können Sie darauf näher eingehen? Welche Ähnlichkeiten gibt es?

Auf den ersten Blick sind sich Tabakschwärmer-Larven und Menschen sehr unähnlich, vor allem in der Morphologie. Aber wenn man den Darm genauer betrachtet, zeigt sich eine hohe Vergleichbarkeit. Insbesondere bei Darmentzündungen ist das angeborene Immunsystem stark konserviert zwischen Insekten und Säugetieren, einschließlich des Menschen. Unsere Forschung zeigt, dass diese Raupen als präklinisches Modell für die Entzündungsforschung, besonders bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, hervorragend geeignet sind. Dadurch wird die translationale Forschung beschleunigt und die Anzahl der Versuche an Mäusen verringert.

Sie kooperieren also auch mit anderen Einrichtungen. Ihr Forschungsansatz scheint dennoch einzigartig zu sein. Woran forschen andere Teams in diesem Bereich?

Ja, Insekten in der präklinischen Forschung sind ein wachsender Trend, insbesondere Drosophila melanogaster, die Taufliege. Sie ist kleiner, einfacher zu halten und kostengünstiger, und es gibt mächtige genetische Tools für diese Tiere. Das Problem ist jedoch, dass sie für bildgebende Verfahren zu klein sind. Unsere Arbeitsgruppe ist eine der ersten, die Insekten in der Bildgebung und funktionalen Bildgebung einsetzt. Unsere Nische ist die Nutzung von Insekten als präklinisches Tiermodell für die radiologische Forschung.

Vorteil: Es können viele Raupen zugleich untersucht werden © Anton WindfelderWir haben gezeigt, dass Darmentzündungen mit klinischen Geräten wie MR, CT und PET untersucht werden können. Ein großer Vorteil ist, dass man viele Raupen gleichzeitig scannen kann, was Hochdurchsatzbildgebung ermöglicht. Zudem haben wir neue MR-Kontrastmittel an Raupen getestet und gezeigt, dass sie in vivo darstellbar sind. Dies spart Zeit und Ressourcen im Vergleich zu Mausmodellen.

Die Forschung ist auch Teil Ihrer Lehre an der Uni Gießen. Um die Themen zu vermitteln, setzen Sie sowohl Augmented Reality (AR), als auch Virtual Reality (VR) in der Lehre ein. Wie wird das von den Studierenden angenommen und welche Vorteile bietet es?

Die Studierenden finden es toll. An der Uni Gießen setzen wir diese Technologien besonders in kleineren Veranstaltungen ein. Im Fach "Experimentelle Radiologie und Nuklearmedizin" nutzen wir hochauflösende Mikro-CT-Datensätze, um die Anatomie der Raupen zu erklären. Mit VR-Brillen können die Studierenden die Strukturen detailliert erkunden, was das Verständnis erleichtert, und ihnen hilft, MR- und CT-Bilder besser zu interpretieren. Die Erfahrungen sind sehr positiv, da diese Modelle faszinierend aussehen und anatomische Strukturen hervorragend in VR betrachtet werden können.

VR und AR gewinnen in der Lehre an Bedeutung © Kim Weigand| IME FraunhoferGlauben Sie, dass VR in der Aus- und Weiterbildung in der Radiologie zukünftig eine größere Rolle spielen wird?

Ja, davon bin ich überzeugt. 3D-Datensätze erleichtern das Verständnis komplexer anatomischer Strukturen. Lehrbücher bleiben wichtig, aber VR und AR bieten zusätzliche Vorteile. An der Uni Gießen setzen wir diese Technologien erfolgreich in kleineren Fächern und Seminaren ein. In großen Vorlesungen ist es noch schwierig, aber in spezialisierten Seminaren wird VR eine größere Bedeutung haben.

Welche weiteren Forschungsprojekte sind in Ihrer Arbeitsgruppe geplant?

Wir untersuchen weitere Erkrankungen und prüfen, inwieweit das Modell für andere Krankheiten genutzt werden kann, etwa Stoffwechselerkrankungen, Herz- und Muskelkrankheiten sowie das Darmmikrobiom. Wir arbeiten interdisziplinär, zum Beispiel mit Toxikologen, Immunologen und Entomologen, um auch Themen wie Insektensterben und die Rolle von Pestiziden besser zu verstehen. Das ist nur ein kleiner Ausblick auf unsere aktuelle Forschung.

Vielen Dank für die Informationen. Wir wünschen Ihnen und Ihrem Team weiterhin viel Erfolg bei der Arbeit und sind gespannt auf Ihre zukünftigen Ergebnisse.

Weitere Informationen finden Sie hier: http://windfelder-lab.com

"Unsere Nische ist die Nutzung von Insekten als präklinisches Tiermodell für die radiologische Forschung." © Kim Weigand| IME Fraunhofer

 

Ausgewählte Veröffentlichungen:

A. G. Windfelder, F. H. Müller, B. Mc Larney, M. Hentschel, A. C. Böhringer, C. R. Von Bredow, F. H. Leinberger, M. Kampschulte, L. Maier, Y. M. von Bredow, V. Flocke, H. Merzendorfer, G. A. Krombach, A. Vilcinskas, J. Grimm, T. E. Trenczek and U. Flögel; High-throughput screening of caterpillars as a platform to study host–microbe interactions and enteric immunity. Nature communications 13, 7216 (2022);

https://doi.org/10.1038/s41467-022-34865-7

 

A. G. Windfelder, J. Steinbart, U. Flögel, J. Scherberich, M. Kampschulte, G.A. Krombach and A. Vilcinskas; A Quantitative Micro-Tomographic Gut Atlas of the Lepidopteran Model Insect Manduca sexta. iScience 26. 10.1016 (2023); https://doi.org/10.1016/j.isci.2023.106801

 

A. G. Windfelder, J. Steinbart, L. Graser, J. Scherberich, G. A. Krombach, and A. Vilcinskas; An Enteric Ultrastructural Surface Atlas of the Model Insect Manduca sexta. iScience (2024); https://doi.org/10.1016/j.isci.2024.109410

O. Koshkina, T. Rheinberger, V. Flocke, A. G. Windfelder, P. Bouvain, N. M. Hamelmann, J. M. J. Paulusse, H. H. Gojzewski, U. Flögel and F. Wurm; Biodegradable Polyphosphoester Micelles Act as Both Backgroundfree 31P Magnetic Resonance Imaging Agents and Drug Nanocarriers. Nature communications 14, 4351 (2023); https://doi.org/10.1038/s41467-023-40089-0

veröffentlicht am Dienstag, 9. Juli 2024