INTERVIEW

Krankenhausreform - Radiologie muss adäquat und explizit berücksichtigt werden

Nach dem bisherigen politischen Zeitplan soll die Krankenhausreform am 1. Januar 2024 an den Start gehen. Während eine Bund-Länder-Gruppe bereits an der Entwicklung eines Gesetzes arbeitet, werfen die anhaltenden Diskussionen ein Licht auf die noch zahlreichen offenen Fragen. Wir haben Professor Johannes Wessling gefragt, wie die Reform aus radiologischer Perspektive einzuordnen und zu bewerten ist. Professor Wessling leitet die DRG-Vorstandskommission zur Krankenhausreform und vertritt die Fachgesellschaft in einer bei der AWMF eingerichteten Fachkommission.     

Prof. Dr. Johannes WesslingProf. Dr. Johannes Wessling© Alexianer Clemenshospital MünsterDie bundesweite Reform soll sich an der Leistungsgruppen-Systematik des NRW-Krankenhausplans orientieren. Kann man damit das stationäre Versorgungsgeschehen angemessen abbilden und taugt die Systematik als künftige Vergütungsgrundlage?
Was nach der grundsätzlichen Verständigung zwischen Bund und Ländern jetzt politisch auf dem Tisch liegt, beinhaltet aus fachlicher Perspektive leider noch erhebliches Konfliktpotenzial. Die Grundlage für ein künftig bundeseinheitliches Vergütungssystem der Krankenhäuser werden im Kern die 64 Leistungsgruppen des NRW-Krankenhausplans sein. Die Regierungskommission hatte in ihrem ersten Vorschlag bereits 128 Leistungsgruppen vorgeschlagen, das Vorbild des Spitalplanungs-Leistungsgruppenkonzept in der Schweiz differenziert 150 Leistungsgruppen. Der Blick in die Ausarbeitungen in NRW zeigt, dass die stationäre Krankenhausversorgung in ihrer ganzen Breite überhaupt nicht abgebildet wird. Dazu wäre eine höhere Zahl als auch eine deutlich stärkere Differenzierung der Leistungsgruppen erforderlich. Brisant wird es für die Krankenhäuser, wenn die unvollständige Leistungsgruppenplanung in NRW nun vorschnell auch noch vom Planungsinstrument zum Vergütungsinstrument umetikettiert wird. Der Reform droht damit eine sich verstärkende Schieflage. Für die zukünftige Vorhaltevergütung – immerhin 60 Prozent der Gesamtvergütung – werden absehbar nur solche medizinischen Teilbereiche Berücksichtigung finden, die in den Leistungsgruppen abgebildet werden. Wenn also nach gegenwärtigem Stand etwa interventionsradiologische Leistungen und Qualifikationen nicht explizit genannt und in der Leistungsgruppenstruktur nicht konkret verortet werden, entstehen daraus handfeste Vergütungsprobleme. Der Leistungsgruppensystematik in NRW fehlt es m. E. also an medizinischem Umfang und Logik als auch an konsistenter Struktur. Eine Erweiterung und Differenzierung der Leistungsgruppen muss deshalb zeitnah erfolgen.

Nach gegenwärtigem Stand soll die Radiologie gesamthaft als Querschnittsbereich definiert werden und zunächst keine eigenen Leistungsgruppen erhalten. Wird das der unterschiedlichen Ausprägung des Faches mit Blick auf Diagnostik und Intervention gerecht?
Nein, keineswegs. Deshalb ist dies auch einer unserer zentralen Kritikpunkte am gegenwärtigen Konzept. Als therapeutischer Arm unseres Faches leistet die interventionelle Radiologie heute in großem Umfang versorgungsrelevante minimal-invasive Eingriffe in nahezu allen Organbereichen. In der Schlaganfall- oder Hirnaneurysmatherapie sind wir in der Rolle des Primärbehandlers fest etabliert.  Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, dass der interventionellen Radiologie bislang weder ein Leistungbereich noch Leistungsgruppen zugeordnet werden.

Ebenso wenig plausibel sind mit Blick auf die bildgebende Diagnostik die bislang in verschiedenen Leistungsgruppen definierten Qualitätskriterien. Zwar werden notwendige Gerätevorhaltungen von  Röntgen, MRT oder CT ausdrücklich genannt. Allerdings setzen spezialisierte radiologische Leistungen natürlich auch das Tätigwerden von Radiologen, Neuro- oder Kinderradiologen voraus. Es ist deshalb völlig unverständlich, warum auf entsprechende fachliche Qualifikationsvorgaben für das ärztlich-radiologische Personal verzichtet wird.
Darüber hinaus birgt die Reduktion der Radiologie auf ein Querschnittsfach mit gerätebezogenen Mindestvoraussetzungen die Gefahr einer fortgesetzten Unterfinanzierung. Personalabbau und der Verlust versorgungsrelevanter Strukturen können die Folge sein. Es liegt deshalb im vitalen Interesse der Radiologie, dass im Rahmen der Krankenhausreform eine adäquate Finanzierung von Ausstattung und qualifiziertem Personal sichergestellt wird.

Was macht es so schwierig, die interventionelle Radiologie als therapeutischen Arm fest in der Leistungsgruppenstruktur zu verankern?
Wir müssen nüchtern feststellen, dass die Radiologie in ihrer therapeutischen Dimension unter einem Wahrnehmungsdefizit leidet – auch in den Häusern selbst. Die Sichtbarkeit der interventionellen Radiologie bleibt hinter ihrer faktischen Bedeutung in der Versorgungswirklichkeit zurück. In der Regel verfügen wir über keine eigenen Betten, unsere abrechenbaren Leistungen gehen mithin in die bettenführenden Abteilungen chirurgischer oder internistischer Fachabteilungen ein. Die Leistungserlöse im Krankenhaus werden in diesen Fällen also über den bettenführenden Zuweiser generiert, während die Kosten in der Radiologie verbleiben, obwohl die Kernleistung hier erbracht wurde.

Als Vertreter der DRG sind Sie Mitglied in der AWMF-Kommission, die im Prozess der Leistungsgruppen-Entwicklung eine fachlich beratende Rolle einnimmt. Welche Aufgabe hat diese Kommission und wie bringt sich die Radiologie in diesen Prozess ein?
Die AWMF soll die fachlichen Perspektiven ihrer Mitgliedsgesellschaften in die Strukturierung von Leistungsbereichen und Leistungsgruppen einbringen. Ihre Funktion könnte die eines fachlichen Korrektivs in einem vor allem von politischen Interessen getriebenen Aushandlungsprozess sein. Die Erfahrungen der zurückliegenden Monate zeigen allerdings, dass dies ein schwieriges Unterfangen ist. Pointiert ausgedrückt: Fachliche Erfordernisse wurden bislang dem politischen Druck zur Einigung zwischen Bund und Ländern untergeordnet. Natürlich gibt es auch zwischen den verschiedenen Fachgesellschaften unterschiedliche, zum Teil konfligierende Vorstellungen über die zukünftige Leistungsgruppensystematik. Denn mit Blick auf eine Neuordnung der Vergütungsstrukturen geht es natürlich auch um Verteilungsinteressen. Insofern nimmt die AWMF sinnvollerweise hier auch eine moderierende Rolle ein.

Als Mitglied dieser AWMF-Kommission erlebe ich es als überaus wertvoll und hilfreich, dass wir als Radiologie in diesem Gremium vertreten sind. Es gibt uns Gelegenheit, wichtige Prozesse mitzugestalten und radiologische Perspektiven unmittelbar einzubringen, konkret: Als DRG haben wir im Schulterschluss mit den radiologischen Fachgesellschaften und Verbänden einen sehr konkreten Vorschlag erarbeitet, wie die Radiologie in ihrer diagnostischen und interventionellen Ausprägung notwendig und sinnvoll in der künftigen Leistungsgruppenstruktur zu verorten wäre. Unsere Positionen haben Eingang gefunden in eine entsprechende fachliche Stellungnahme der AWMF an das BMG.   

Jenseits der fachlichen Mitarbeit in der AWMF – was tut die Radiologie, um ihre Positionen in diesem wichtigen Reformprojekt zu entwickeln, zu verdeutlichen und stärker auch ins Blickfeld der gesundheitspolitischen Akteure zu bringen?
Die Krankenhausreform ist eine große Herausforderung und Chance zugleich – auch für die Radiologie. Die DRG hat sehr frühzeitig eine Radiologie-übergreifende Vorstandskommission zu diesem Projekt eingesetzt, deren Vorsitz ich übernehmen durfte. So war es uns möglich, relativ zügig eine gemeinsame Positionierung zu entwickeln. Unsere Forderung ist klar: Ihrer faktischen Bedeutung entsprechend muss die gesamte Krankenhausradiologie im zukünftigen Leistungsgruppensetting als auch in der Vergütungsstruktur adäquat und explizit berücksichtigt werden.  
Unsere fachlich gut begründeten Vorschläge haben wir sowohl auf der Ebene der AWMF, aber auch im politischen Raum adressiert. Wir haben die uns verfügbaren Kanäle genutzt, um auf den erforderlichen Nachbesserungsbedarf bei der Ausgestaltung der Leistungsgruppen aufmerksam zu machen – beim BMG, bei den Landesministerien, bei der DKG. Angesichts der immer noch sehr unklaren politischen Gemengelage und einer ganzen Reihe ungeklärter Fragen mit Blick auf die Gesetzgebung müssen wir vorerst abwarten, ob und inwiefern unsere Positionen Gehör finden. Hier wird Geduld, Hartnäckigkeit und ein langer Atem gefragt sein.

Eine Frage zum Schluss: Bei allen gegenwärtigen Unwägbarkeiten – wie wird sich die Krankenhausradiologie in Ihrer Einschätzung zukünftig verändern?
Völlig unabhängig davon, ob es dem Gesetzgeber gelingt, die Reform wie geplant ab Januar 2024 an den Start zu bringen – wir werden sehr absehbar eine grundlegende wie notwendige Veränderung von Strukturen und Vergütungen im Krankenhaus erleben. Deshalb müssen wir heute anfangen, die anstehenden Veränderungsprozesse in den Häusern bestmöglich zu antizipieren und mitzugestalten.
Ich sehe für die Radiologie die große Chance und Notwendigkeit, die therapeutische Seite unseres Faches weiter in den Vordergrund zu stellen. Radiologie ist Diagnostik und Therapie. Wenn eine stärkere ambulante Versorgung gefördert werden soll, dann müssen wir auch bei der „Bettenpolitik“ neue Wege gehen. Gerade da, wo mehrere Fachgruppen solche Leistungen erbringen und eine interdisziplinäre organbezogene Zusammenarbeit geboten ist, liegt die Zukunft der Krankenhäuser in gemeinsamen Bettenstationen, die flexibel, je nach Bedarf, Betten den einzelnen operativen, interventionellen und konservativen Fachgruppen zuordnen. Weg vom Einzelspezialisten hin zu interdisziplinären Spezialistenteams mit Vorhaltung der verschiedenen Kernkompetenzen unter einem Dach. Hier muss der interventionelle Arm der Radiologie als gleichberechtigter Partner agieren. Zukünftig und mit Blick auf die Ambulantisierung wird sicherlich auch das Thema „Tagesbetten“ für Interventionen eine Rolle spielen müssen.

veröffentlicht am Dienstag, 5. September 2023