Interview
Inklusion in der Radiologie: Ein Blick auf die neue Fokusgruppe #YesWeCanToo
In unserem Interview berichten zwei Gründerinnen der Fokusgruppe #YesWeCanToo, Frau Dr. Katharina Ronstedt, Fachärztin für Radiologie und Kinderradiologie am Universitätsklinikum Halle, und Frau Dr. Katrin Ludwig, Chefärztin der Klinik für Radiologie der Lungenklinik Lostau, über die Entstehung der Initiative sowie den aktuellen Status und die Herausforderungen der Inklusion von Menschen mit Behinderung in der Radiologie. Sie teilen ihre konkreten Ziele und Visionen für #YesWeCanToo und erläutern die Chancen, die die Inklusion für die Radiologie bietet.
Dr. Katharina Ronstedt MBA @ Universiätsklinikum HalleWie ist die Idee zu #YesWeCanToo entstanden?
Dr. Ronstedt: Die Idee zu #YesWeCanToo entstand 2020 mit der Gründung des Diversity Netzwerkes der DRG. Als Schwerbehinderte fragte ich mich, wie weit Diversität hier wohl gedacht werden darf. Ich hatte ich immer den Eindruck, dass neben dem wesentlichen Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit andere Dimensionen von Diversität im Kontext Berufsleben schnell untergehen. Da Menschen mit Schwerbehinderung erst seit 2003 in Deutschland regulär zum Medizinstudium zugelassen werden, verwundert es nicht, dass Inklusion von Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen kaum oder vielleicht auch nur viel zu wenig Niederschlag im Klinikalltag findet.
Umso mehr freute es mich, als mir von den Organisatorinnen des Netzwerks mit viel Offenheit und ehrlichem Interesse begegnet wurde. Zunächst haben wir einen Podcast „Chancen statt Defizite - so geht Inklusion in der Radiologie!” über Behinderungen in der Radiologie gemacht. Das Feedback war nicht nur Lob, sondern enthielt auch Berichte von, nur teils verdeckter, Diskriminierung, aber auch Unsicherheit bei Vorgesetzten wurde geäußert. Der Bedarf an Vernetzung, Information, Beratung und Ermutigung wurde deutlich.
Inspiriert durch das Frauennetzwerk der DRG beschlossen wir, selbst eine solche Initiative zu gründen. Nach circa sechs Monaten Vorbereitungszeit fanden wir uns beim diesjährigen Röntgenkongress in Wiesbaden dazu zusammen.
Dr. Katrin Ludwig @ Lungenklinik LostauWie würden Sie den aktuellen Status Quo hinsichtlich der Inklusion von Menschen mit Behinderung in der Radiologie einschätzen und welche Herausforderungen sehen Sie dabei?
Dr. Ludwig: In der Radiologie hängt die Inklusion von Menschen mit Behinderung von verschiedenen Faktoren ab, wie dem Arbeitsmarkt mit offenen Stellen für Ärztinnen, Ärzte und medizinisch-technisches Personal, den individuellen Rahmenbedingungen der Einrichtungen (Klinik, ambulante Radiologie, Teleradiologie) sowie den Fähigkeiten und Ängsten der Mitarbeitenden.
Die Beschäftigungszahlen von Menschen mit Behinderung in der Radiologie liegen uns nicht vor, da viele Behinderungen nicht sichtbar sind und auch eine Schwerbehinderung, also ein Grad der Behinderung (GdB) von 50, nicht immer öffentlich kundgetan wird. Die sich ständig ändernde Versorgungsstruktur radiologischer Leistungen durch Praxen und Kliniken, die sich in Verbünde organisieren, sowie der Wettbewerb um Patientinnen, Patienten und Mitarbeitende stellen Unternehmen vor Herausforderungen. Die demographische Entwicklung spielt hierbei eine zentrale Rolle. Laut de.statista.com gab es im Jahr 2022 insgesamt 9.696 berufstätige Radiologinnen und Radiologen, wobei knapp ein Drittelzwischen 50 und 59 Jahren arbeitet, 15 Prozent zwischen 60 und 65 Jahre und noch über 6 Prozent nach dem 65. Lebensjahr. Der daraus resultierende Fachkräftemangel trifft auf eine steigende Nachfrage nach radiologischen Leistungen. Weitere Herausforderungen sind der Wertewandel und die sinkenden Erwerbstätigkeitszahlen. Unter diesen Aspekten gilt es, dass Arbeitgebenden ihre Bedenken zu Aufwand und Kosten bei der Einstellung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderung überdenken müssen und Mitarbeitende zu diesem Thema sensibilisiert werden sollten.
Welche konkreten Ziele und Visionen verfolgen Sie mit #YesWeCanToo?
Dr. Ronstedt: #YesWeCanToo möchte Menschen zusammenbringen, die verstanden haben, dass Inklusion eine grundlegende Voraussetzung für eine positive Veränderung der Arbeitswelt ist und langfristig die angemessene Versorgung von Patientinnen und Patienten gewährleistet. Unser erstes konkretes Projekt wird im frühen Herbst starten und eine Beratungshotline anbieten, bei der sich Menschen mit Inklusionsherausforderungen beraten lassen können. Wir haben bereits einen Grundstock von Bewerbungstipps für Menschen mit Behinderungen sowie Informationen zum Förderdschungel für Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen. Des Weiteren planen wir die Situation von Menschen in Behinderung in der Radiologie zu erforschen, da bisher kaum Daten dazu vorliegen. Die Vernetzung bleibt ebenfalls ein wichtiger Schwerpunkt.
Langfristig streben wir einen Kulturwandel an, der Menschen mit verschiedenen Fähigkeiten und Einschränkungen in der Radiologie willkommen heißt und die Bereitschaft fördert, die Arbeitsbedingungen anzupassen, anstatt Menschen nur aufzufordern, sich an bestehende Bedingungen anzupassen. Indem mehr Menschen Umstände für ihre Arbeit finden und gestalten können, die zu ihnen passen, werden mehr Menschen in der radiologischen Versorgung tätig sein wollen, und nur so werden wir den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden. Wir setzen uns auch für aktive Nachwuchsförderung ein, denn viele Einschränkungen lassen sich gut mit der Radiologie vereinbaren -es erfordert nur eine kluge Herangehensweise. Wir haben noch einige Ideen auf der Pfanne und freuen uns gleichzeitig auch über jeden Input!
Welche Chancen bietet die Inklusion von Menschen mit Behinderungen für die Radiologie?
Dr. Ludwig: Menschen mit Behinderungen sind nicht automatisch in ihrer Leistungsfähigkeit im Beruf eingeschränkt. Mit einem behindertengerechten Arbeitsplatz können sie regulär arbeiten. In Zeiten des Fachkräftemangels sollten Arbeitgebende auf das Potential zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung aufmerksam gemacht werden. Die Zurückhaltung bei der Einstellung und Beschäftigung dieser Gruppe resultiert nicht nur aus mangelndem Interesse, sondern oft auch aus fehlendem Wissen über geeignete Einstellungsdetails. Es gibt verschiedene Fördermöglichkeiten, wie Lohnkostenzuschüsse, Bereitstellung von Hilfsmitteln und die Anpassung der Arbeitsplätze.
Viele Kliniken und Praxen haben sich Diversität auf die Agenda geschrieben. Das Handeln in diesem Sinne sorgt nicht nur für ein positives Image, sondern erweitert auch den Horizontanderer Mitarbeitenden. Es ist wichtig, aktiv über Vorurteile und Ängste im Umgang mit Menschen mit Behinderung zu kommunizieren.
Welche Möglichkeiten bietet die Fokusgruppe für Fachkräfte, Führungskräfte und Interessierte, die sich mit dem Thema Inklusion befassen möchten?
Dr. Ronstedt: #YesWeCanToo ist eine Arbeits- und Interessensgruppe zur Inklusionsförderung. Wir sind keine Selbsthilfegruppe, sondern heißen alle Willkommen, die Inklusion von der Theorie in den alltäglichen Arbeitsablauf integrieren möchten. Unser Ziel ist es, einen sicheren Raum für Austausch und das Finden individueller Lösungen zu schaffen, zum Wohle aller Beteiligten.
Hier können auch Fragen gestellt werden, die man sich vielleicht im eigenen Arbeitsumfeld nicht zu platzieren traut. Wir bieten Beratung insbesondere bei schwierigen Teamdynamiken aufgrund von individuellen Einschränkungen oder wenn Führungskräfte Orientierung bei der Beantragung von Unterstützung und Fördergeldern für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen benötigen.
Ob jemand selbst direkt betroffen ist oder man jüngere Kolleginnen und Kollegen unterstützen möchte, die Schwierigkeiten haben, den Spagat zwischen Voraussetzungen und dem tatsächlich Möglichen zu bewältigen, ist dabei weniger von Belang. Letztendlich profitiert das ganze Team.
Wir legen großen Wert auf persönlichen Kontakt und bieten unterschiedliche Möglichkeiten für Begegnungen an, sei es beim Get-together am Rande des nächsten Röntgenkongresses oder anonym per E-mail.
Als Netzwerk fördern wir unsere Mitglieder und versuchen ihnen das Überwinden von Hürden zu erleichtern, insbesondere für diejenigen, die Diskriminierungserfahrungen gemacht haben oder fürchten.
Wer kann bei #YesWeCanToo mitmachen – und wie?
Dr. Ludwig: Bei #YesWeCanToo kann jede und jeder teilnehmen, ohne Einschränkungen. Die einzige Voraussetzung ist das Interesse an dem Thema, die Neugier, aktiv mitzugestalten und der Wille zum ehrlichen Austausch.
Unsere Gruppe besteht aus Menschen mit und ohne Behinderung, die Erfahrungen im Umgang mit diesem Thema haben oder auch völlig neu damit konfrontiert sind. Wir wollen gemeinsam wachsen, unser Wissen teilen und eine Plattform für Fach- und Führungskräfte bieten.
Wir sind offen gegenüber Vorschlägen zur Weiterentwicklung unserer Gruppe und heißen alle Interessierten herzlich willkommen. Behinderung ist bisher im bunten Strauß der Diversität kaum sichtbar, bietet aber gute Entwicklungsmöglichkeiten, die sich auch auf andere Bereiche übertragen lassen. Jeder, der sich für mehr Vielfalt im Berufsleben einsetzen möchte, ist bei uns richtig.
YesWeCanToo@DRG |