INTERVIEW ZUM TAG DER SELTENEN ERKRANKUNGEN 2023
Wissensplattform für seltene Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen
2021 wurde das „Kinderneuroradiologische Netzwerk“ gegründet. An dieser Wissensplattform beteiligen sich Ärztinnen und Ärzte aus der Radiologie und anderen Fachrichtungen, um sich interdisziplinär über seltene Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen auszutauschen, Wissen zu sammeln und sich fortzubilden. In diesem Interview sprechen wir mit der Gründerin des Netzwerkes, Dr. Gabriele Hahn, anlässlich des Tages der seltenen Erkrankungen am 28 Februar 2023, unter anderem über die Motive zur Gründung des Netzwerkes und die Planungen für die Zukunft. Dr. Hahn ist Fachärztin für Radiologie, Kinderradiologie und Kinderheilkunde am Universitätsklinikum Dresden.
Dr. Gabriele Hahn Copyright: PrivatDr. Hahn, Sie sind spezialisiert auf Kinderneuroradiologie. Mit welchen seltenen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen haben Sie in Ihrem klinischen Alltag zu tun?
Dr. Gabriele Hahn: Bei einer modernen Diagnostik auf dem Gebiet der Neuropädiatrie spielt die Kinderneuroradiologie heute eine nicht mehr wegzudenkende Rolle. Hier beschäftigen wir uns mit vielen sehr selten auftretenden Erkrankungen. Große Erfahrungen haben wir auf dem Gebiet der genetisch bedingten Erkrankungen, wie Neurofibromatose vom Typ 1 und 2. Diese Erkrankungen sind häufig mit Tumoren und anderen Veränderungen des Schädels und der Wirbelsäule verbunden. Noch sehr viel seltener sind angeborene Fehlbildungen und Stoffwechselerkrankungen des zentralen Nervensystems. Dazu gehören zum Beispiel die Arnold-Chiari-Malformation und Leukodystrophien.
Wie muss man sich die Diagnose und Behandlung junger Patientinnen und Patienten, die unter seltenen Erkrankungen leiden, vorstellen?
Da ich am Universitätsklinikum in Dresden arbeite, kommen zu uns viele Eltern mit Ihren Kindern – vom Neugeborenen bis zum 18-jährigen – und sogar schwangere Frauen. Alle möchten komplexe Fragestellungen abgeklärt haben, die das zentrale Nervensystem und die neurologische Entwicklung ihres Kindes betreffen. In der Pränataldiagnostik spielt das intrauterine MRT mit Darstellung des Kopfes und der Wirbelsäule eine zunehmende Rolle und wir arbeiten hier eng mit den Gynäkologinnen und Gynäkologen sowie den Geburtshelferinnen und -helfern zusammen. Gemeinsam wird bei uns in einem regelmäßig stattfindenden Pränatalboard besprochen, wie die Betreuung der Schwangeren nach der bildgebenden Diagnostik des Fetus weiter erfolgen soll. Neugeborene und ältere Kinder und Jugendliche werden im MRT zum Teil in Sedierung und Narkose untersucht, um eine Diagnose zu stellen. Die Bilder werden täglich mit den klinisch tätigen Ärztinnen und Ärzten besprochen, um das weitere Prozedere festzulegen, die Diagnose zu sichern und die Therapie festzulegen.
Sie koordinieren das „Kinderneuroradiologische Netzwerk“, in dem sich Expertinnen und Experten aus der Radiologie und anderen Fachrichtungen regelmäßig austauschen. Was war 2021 die Motivation für die Gründung?
Seit vielen Jahren bewegte mich bereits die Unterrepräsentation des Spezialgebietes „Kinderneuroradiologie“ im deutschsprachigen Raum. Auf diesem Gebiet arbeiten Einzelne aus der Radiologie, der Neuroradiologie und der Kinderradiologie. Teilweise wird dieses Gebiet sehr stiefmütterlich behandelt. Aufgrund meiner vieljährigen Arbeit auf dem Gebiet Kinderradiologie lag mir sehr daran, eine Wissensplattform für dieses Gebiet zu schaffen. Diese soll sowohl unerfahrene als auch sehr erfahrene Kolleginnen und Kollegen einschließen und miteinander ins Gespräch und in den Austausch bringen.
Könnten Sie uns den fachlichen Austausch im Netzwerk beschreiben?
Es fand aufgrund der Pandemiezeit eine Online-Gründung des Kinderneuroradiologischen Netzwerkes unter dem Dach der Deutschen Röntgengesellschaft mit der Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie und der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie statt. Die Idee einer vierteljährlichen Onlineveranstaltung entwickelte ich eher aus der Not, das Format erwies sich aber schnell als ein sehr erfolgreiches. Unser Ansatz bestand darin, drei seltene oder lehrreiche Fälle in einer gewissen Struktur durch unterschiedlich erfahrene Kolleginnen oder Kollegen zu präsentieren und die Teilnehmenden zur Diskussion und Mitgestaltung anzuregen. Angesprochen werden sollten sowohl kinderneuroradiologisch Tätige als auch Klinikerinnen und Kliniker aus den Bereichen Neuropädiatrie, Pränataldiagnostik, Genetik, Neurochirurgie und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Kontakt zu diesen Themen haben.
Wie fließen die Ergebnisse dieses Austausches in Ihren klinischen Alltag ein und wie könnten Betroffene mit seltenen Erkrankungen davon profitieren?
Bei unseren vergangenen Treffen wurden die durch Kinder- und Neuroradiologinnen und -radiologen dargestellten Fälle alle sehr gut aufgearbeitet und präsentiert. Es wurde der Weg zur Diagnose einschließlich von Differenzialdiagnosen und der dazu gehörigen wissenschaftlichen Literatur aufgezeigt. So wurden alle an der Diagnostik und Therapie von seltenen Erkrankungen im Kindesalter beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Ärztinnen und Ärzte angesprochen. Für die meisten Teilnehmenden gab es lehrreiches und „Aha“-Effekte. In den letzten Veranstaltungen wurde auch zunehmend lebhaft diskutiert. Sehr erfahrene Kolleginnen und Kollegen können natürlich aus ihrem Fundus schöpfen und auch helfen, rascher zu einer Diagnose von extrem seltenen Erkrankungen zu gelangen.
Welche Zukunftspläne gibt es für das Netzwerk?
Die Online-Veranstaltungen werden aufgezeichnet und sind für ein Jahr über conrad, der digitalen Lernplattform der DRG, nachträglich abrufbar. Für die Zukunft würde ich mir zusätzliche kleine interdisziplinäre Präsentationen auf Kongressen wünschen, um das Netzwerk weiter bekannt zu machen und klinische, radiologische und wissenschaftliche Teilnehmende dafür zu interessieren. Vielleicht finden wir auch eine neue ansprechende digitale Präsentationsform.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Hahn!
Treffen des Kinderneuroradiologischen Netzwerkes |
Seltene Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen |
veröffentlicht am Freitag, 24. Februar 2023