WELTKREBSTAG 2023

„Kleiner Schnitt, kleiner Schmerz, kleines Risiko“

Die radiologische Bildgebung spielt bei der Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen eine wichtige Rolle. Dazu haben wir aus Anlass des Weltkrebstages am 4. Februar 2023 Prof. Dr. Stefan Diederich befragt. Professor Diederich ist Chefarzt und Leiter des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Marienhospital Düsseldorf. Er ist unter anderem Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Onkologische Bildgebung der Deutschen Röntgengesellschaft.

Prof. Dr. Stefan Diederich © Deutsche RöntgengesellschaftDie Zahl der Todesfälle aufgrund von Krebs liegt bei etwa 230.000 Menschen, die Zahl der Krebsneuerkrankungen bei rund 510.000, wie das Deutsche Krebsforschungszentrum angibt. Was lösen solche Zahlen in Ihnen aus?
Professor Diederich: In der westlichen Welt gibt es zwei Erkrankungsgruppen, die überdurchschnittlich häufig tödlich verlaufen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Das ist bei anderen Krankheiten deutlich seltener, was auch auf medizinische Fortschritte zurückzuführen ist. Die Zahlen sind nicht schön, aber für mich kein Grund für Frustration. Selbstverständlich haben wir Ärztinnen und Ärzte den Anspruch, mit den uns zur Verfügung stehenden diagnostischen und therapeutischen Mitteln eine Heilung herbeizuführen. Beschwerden zu lindern und qualitative Lebenszeit zu ermöglichen sind aber ebenfalls Ziele, die zwar nicht gleichwertig sind, aber doch eine wichtige Rolle spielen. Ich begleite viele Krebspatientinnen und -patienten, deren Leid ich teils durch minimal-invasive Eingriffe unmittelbar lindern und so für einen Zugewinn an Lebensqualität sorgen kann. Außer Frage steht jedoch, dass Krebs für viele Menschen ein Schreckgespenst ist. Auch ich habe vor bestimmten Krebsarten Angst, was dazu führt, dass ich mich mit meinem Leben bewusster auseinandersetze: Was ist gut, was bedeutet mir viel, was möchte ich auf jeden Fall noch machen und nicht auf die lange Bank schieben?

Häufig liest man von dem großen Durchbruch bei der Behandlung von Krebs. Aber Ärztinnen und Ärzte arbeiten noch immer vor allem mit Operationen, Chemotherapien und Bestrahlungen.
Ja. Dies sind immer noch die zentralen Säulen der Therapie, die je nach Krebsart, Stadium und Organbefall einen sehr unterschiedlichen Stellenwert haben. Das war so und wird sich in absehbarer Zeit auch nicht ändern. Zugleich entwickeln die Strahlentherapeutinnen und -therapeuten immer bessere Konzepte, um eine hohe Strahlendosis in den Tumor zu bekommen und dies bei einer gleichzeitig möglichst geringen Strahlendosis für das anliegende gesunde Gewebe. Die medikamentöse Therapie hat ebenfalls große Fortschritte gemacht und ist heute mehr als die klassische Chemotherapie. Auch die chirurgischen Operationstechniken haben sich weiterentwickelt. Die Überlebensraten bei Krebserkrankungen haben sich in Deutschland in den letzten 30 Jahre stark erhöht.

Welchen Anteil hat daran die onkologische Bildgebung?
Die Bedeutung der Bildgebung spielt in vielen Bereichen eine herausragende Rolle. Es gibt aber leider kaum Forschung darüber, welchen Einfluss auf das Überleben einer Patientin oder eines Patienten die Bildgebung hat beziehungsweise die Entscheidung darüber, wann welche bildgebende Methode eingesetzt wird und ob dies in einem High Volume Center geschieht, in dem das Expertenwissen gebündelt ist - oder aber in einer Einrichtung, in der die durchführende Radiologin oder der Radiologe täglich ganz unterschiedliche Fragen beantworten muss.

Können Sie ein konkretes Beispiel für die Rolle der onkologischen Bildgebung nennen?
Ja. Bei Bauchspeicheldrüsenkrebs etwa ist auch aktuell meist die einzige realistische Chance auf Heilung eine Operation. Früher hat man Betroffene operiert, um nachzuschauen, ob der Tumor entfernt werden konnte. Wenn ja, wurde er entfernt, und Patientinnen oder Patienten hatten eine Heilungschance. War der Tumor inoperabel, wurde der Bauch einfach wieder zugemacht. In diesem Fall war die Operation überflüssig und nur mit Schmerzen, Risiken, Belastungen verbunden. Das kann man heute durch moderne Bildgebung, speziell durch Magnetresonanz- oder Computertomografie, in den meisten Fällen vermeiden.

Wie bewerten Sie - vor dem Hintergrund des Gesamtspektrums onkologischer Therapien - die Relevanz und Akzeptanz minimal-invasiver Verfahren der interventionellen Onkologie?
Die Akzeptanz auf Seiten der Patientinnen und Patienten ist immer gegeben, weil die minimal-invasiven Verfahren der interventionellen Onkologie genau dem entsprechen, was sie sich wünschen: kleiner Schnitt, kleiner Schmerz, kleines Risiko. Oft werden diese Verfahren aber trotzdem unterschätzt, da viele minimal-invasive Eingriffe unter Vollnarkose durchgeführt werden. In den medizinischen Fächern wird die Intervention zunächst oft als Konkurrenz empfunden. Je mehr man sich aber miteinander beschäftigt, desto schneller löst sich die Distanz auf. Das sieht man gut in der Onkologie. Hier sitzt man im Tumorboard zusammen und bespricht gemeinsam, wie mit Patientinnen und Patienten weiter zu verfahren ist. So kann es sein, dass die Chirurginnen oder Chirurgen erst einmal operieren sollen, um zu entfernen, was operativ entfernt werden kann. Dann bleibt vielleicht eine Metastase übrig, die man chirurgisch schlecht behandeln kann. Diese wird dann minimal-invasiv durch die Radiologie abgetragen.
Es gibt bis zu 300 Krebsarten und Subtypen, wobei 500.000 neue Krebsfälle jährlich auch für 500.000 neue, individuell unterschiedliche Tumorgeschichten stehen. Eine Antwort darauf lautet individualisierte Tumortherapie.

Wie ändert sich damit Rolle der Bildgebung?
Damit einher geht ein weiterer Bedeutungszuwachs der Bildgebung. Aber es wird auch komplizierter. Individualisierte Medizin bedeutet ja, dass einzelne Patientinnen oder Patienten keine Einheitstherapie mehr erhalten. Bei Brustkrebs etwa gibt es harmlose Varianten, die lange unentdeckt sind, kaum wachsen und bei denen dann zum Zeitpunkt der Diagnose trotzdem kein Lymphknotenbefall oder eine Fernmetastasierung vorliegt. Zum Brustkrebs gehört aber auch der ein Zentimeter große Tumor einer jungen Frau, der bereits zu einem sehr frühen Diagnosezeitpunkt Fernmetastasen aufweist. Dieser Tumor ist biologisch nicht verwandt mit dem vorher beschriebenen Tumor. Diese unterschiedlichen Ausprägungen können mit der Bildgebung teils frühzeitig klassifiziert werden, so dass auch eine Prognose getroffen werden kann, um welchen Tumortypen es sich im konkreten Fall handelt. Es gibt spannende Ansätze im MRT, über die man Aussagen über die biologische Aggressivität eines Tumors treffen kann. Oder: Es gibt die Perfusions-CT, die Erkenntnisse über die Durchblutung eines Tumors liefert. Die Bildgebung ist auch entscheidend etwa bei der Frage, ob ein Tumor vorbehandelt werden soll, etwa mit einer Chemotherapie, einer Bestrahlung oder beidem.

Welches sind aus Ihrer Sicht besonders interessante Entwicklungen in der onkologischen Bildgebung?
Ein spannendes Thema ist die Immuntherapie. Hier werden Medikamente eingesetzt, die den Krebs nicht direkt attackieren, sondern das körpereigene Immunsystem so stärken, dass es seinerseits den Krebs angreifen kann. Wichtig dabei ist, dass diese Medikamente im Körper andere Effekte auslösen können als man sie von einer klassischen Chemotherapie kennt. Eine wirksame Chemotherapie macht den Tumor kleiner, eine erfolgreiche Immuntherapie hingegen kann den Tumor unter Umständen erst einmal größer machen. Die Radiologin oder der Radiologe, der diese Patientinnen und Patienten untersucht und befundet, muss wissen, dass gerade zu Beginn der Immuntherapie der Tumor durchaus erst einmal schwellen darf, da Entzündungszellen aus dem Immunsystem in den Tumor einströmen, um ihn dann zu zerstören. Sehr wichtig ist auch die Response-Beurteilung. Dabei geht es um die Frage: Woran erkenne ich, dass ein Tumor auf eine Therapie anspricht? Es ist, wie bereits gesagt, nicht mehr allein eine Frage der Tumorgröße. Wir können heute die Perfusion des Tumors beurteilen, den Glukose-Stoffwechsel erfassen, oder Änderungen in der Binnenstruktur erkennen. Im IT-Bereich gibt es Entwicklungen, die in der Radiologie immer stärker an Bedeutung gewinnen. Hierzu zählen insbesondere die strukturierte Befundung und das maschinenbasierte Lernen. Auch im Bereich der onkologischen Interventionen passiert gerade viel. So sind die perkutane Tumortherapie wie auch die transvaskuläre Tumortherapie Verfahren, die eine möglichst effektive Behandlung mit einer bestmöglichen Lebensqualität Betroffener verbinden.

Professor Diederich, wir danken Ihnen für das Gespräch!

veröffentlicht am Mittwoch, 1. Februar 2023