INTERVIEW
„Wollen wir, dass aus Gesundheit und Krankheit Kapital geschlagen wird?“
In der ambulanten medizinischen Versorgung von Patientinnen und Patienten sind private Finanzinvestoren immer stärker aktiv. Wie viele andere medizinische Fachrichtungen, ist auch die Radiologie von dieser Entwicklung betroffen. Wir haben mit Dr. Ulrike Engelmayer, niedergelassene Radiologin im süddeutschen Schwabmünchen und kooptiertes Vorstandsmitglied des Forums Niedergelassener Radiologen FuNRad in der DRG sowie des Berufsverbands Deutscher Radiologen (BDR) unter anderem über die Folgen der Aktivitäten von Finanzinvestoren für Radiologinnen und Radiologen sowie die Patientenversorgung gesprochen.
Dr. Ulrike Engelmayer © PrivatDr. Engelmayer, hat die Radiologie im ambulanten Sektor ein Nachwuchsproblem?
Dr. Ulrike Engelmayer: Noch nicht, aber auch die ambulante Radiologie wird durch die zunehmende Kommerzialisierung des Gesundheitswesens ein Nachwuchsproblem bekommen. So, wie es in unseren Kliniken eine große Fluktuation bis in die ärztlichen Führungsebenen gibt, wird sich auch der Fachärztemangel im ambulanten Sektor entwickeln, sollten sich die Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten für Radiologinnen und Radiologen weiter verschlechtern. Außerdem wird sich das Nachwuchsproblem verschärfen, wenn sich an der Unterstützung von Familien und an der Förderung von Frauen nichts ändert. Der Anteil von uns Radiologinnen beträgt derzeit ca. 37 Prozent, aber auch wir werden infolge des hohen Frauenanteils unter den Medizin-Studierenden und Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung immer mehr. Es ist für mich unbegreiflich, wie es sich die deutsche Gesellschaft immer noch leisten kann, hochqualifizierte Akademikerinnen auszubilden, um sie dann für die „Care“-Arbeit nach Hause zu schicken und maximal noch in Teilzeit arbeiten zu lassen.
Weshalb sind aus Ihrer Sicht ambulant tätige Radiologinnen und Radiologen für die Patientenversorgung auch für die Zukunft unabdingbar?
Weil sich die Patientenversorgung immer mehr in den ambulanten Sektor verlagern wird. Schon jetzt erfolgt ein Großteil der Diagnostik prästationär in den Praxen, und durch die Verkürzung der stationären Liegedauern führt sich dieser Trend in der poststationären Behandlung beziehungsweise der Nachsorge fort.
Nach dem Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung sollen bestimmte stationäre Leistungen künftig ambulant erbracht werden. Das ist Teil der beabsichtigten Strukturreformen im Gesundheitswesen. Könnte die „Ambulantisierung“ den ambulanten radiologischen Sektor zusätzlich stärken?
Sicherlich! Die Radiologie kann eine wichtige Schlüsselrolle zwischen ambulanter und stationärer Medizin einnehmen beziehungsweise nimmt diese Rolle, zum Beispiel in Praxen mit Klinikkooperation, schon ein. Entscheidend dafür ist aber das gute Zusammenspiel aller Beteiligten, vor allem der Patientinnen und Patienten, Zuweiserinnen und Zuweiser sowie uns Radiologinnen und Radiologen. Daran scheitert es in der Realität leider häufiger, was nicht nur an der lückenhaften Digitalisierung, sondern auch am suboptimalen Informationsfluss zwischen den Beteiligten liegt. Abhilfe kann die Einführung einer standardisierten Infrastruktur sowie die Verwendung strukturierter Befundvorlagen schaffen. Die Verzahnung von Diagnostik und Therapie muss strukturierter und geplanter ablaufen, und es muss gewährleistet bleiben, dass die Leistungen von den dafür qualifizierten Fachgruppen erbracht werden. Die Kompetenzen und die Vergütung müssen weiterhin bei den Fachgruppen liegen, die dafür ausgebildet wurden und die Facharzt-Anerkennung vorweisen.
Welchen Änderungsbedarf würden Sie an die Politik adressieren – bräuchte es zum Beispiel eine Anpassung der Vergütungsstrukturen?
Aktuell gibt es in der ambulanten Radiologie viele Leistungsangebote, die nur aufrechterhalten werden können, weil sie durch andere Untersuchungen, zum Beispiel aus dem PKV-Bereich, „quersubventioniert“ werden. Auch im stationären Sektor sind die radiologischen Leistungen in den DRGs nicht in der Art und Weise abgebildet und der Radiologie zugeordnet, wie sie ihrem Wert und Aufwand entsprechen. Infolge der zunehmenden Kommerzialisierung ist zu befürchten, dass defizitäre beziehungsweise wenig Gewinn versprechende Untersuchungen ganz aus dem Leistungsangebot verschwinden werden.
Eine besondere Herausforderung für niedergelassene Radiologinnen und Radiologen sind die Aktivitäten von Private-Equity-Gesellschaften. Warum ist die ambulante Radiologie so attraktiv für Finanzinvestoren und welche Gefahren sehen Sie hier?
Die Radiologie ist attraktiv für Finanzinvestoren, weil sie im Vergleich zu vielen anderen Fachbereichen hohe Umsätze generiert. Sie hat allerdings aufgrund der Technisierung und des Personalbedarfs hohe Ausgaben, die die Investoren nach der Übernahme reduzieren wollen. Jedoch sind die Strukturen in vielen radiologischen Praxen häufig schon so effizient organisiert, dass zu befürchten ist, dass eine weitere „Optimierung“ zu Lasten der Qualität und der Mitarbeiterzufriedenheit und schlimmstenfalls des Patientenwohls geht. Als Unternehmerin bin ich meinen Patientinnen und Patienten sowie meinem Personal verpflichtet. Außerdem unterliege ich der Einkommenssteuer in Deutschland, sodass ein Teil meines Gewinns wieder der Solidargemeinschaft zugutekommt. Investoren geht es um die Rendite, sie sind ihren Aktionären verpflichtet. Hinzu kommt, dass die meisten Investment-Gesellschaften zwar europäische beziehungsweise nordamerikanische Unternehmen sind, aber in Fonds mit Sitz in Steueroasen wie Luxemburg oder den Kanalinseln investieren. So geht ihr Gewinn der Solidargemeinschaft verloren.
Im ambulanten Sektor verfolgen Investment-Gesellschaften ferner das Ziel, die Praxen zu einem möglichst hohen Preis nach drei bis sieben Jahren weiterzuverkaufen, wofür die Einrichtungen möglichst gewinnbringend arbeiten müssen. Wir haben ähnliche Entwicklungen in anderen Wirtschaftsbereichen, zum Beispiel dem Immobilienmarkt, beobachtet. Als Gesellschaft müssen wir uns grundsätzlich fragen: Wollen wir, dass aus Gesundheit und Krankheit Kapital geschlagen wird? Die Ökonomisierung, also ein wirtschaftlicher Umgang mit den uns zur Verfügung stehenden Geldern, ist geboten. Die Kommerzialisierung, also der Verkauf von Gesundheitsleistungen zur Gewinnmaximierung, finde ich ein sehr fragwürdiges Konzept für das Gesundheitswesen. Der 126. Deutsche Ärztetag hat daher die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer gebeten, ökonomische Mechanismen und Zwänge des kommerzialisierten Gesundheitsmarktes einer ethischen Reflexion zu unterziehen, Fehlentwicklungen aufzuzeigen, Lösungsvorschläge zu erarbeiten und die Ergebnisse wenigstens jährlich der öffentlichen Diskussion zugänglich zu machen.
Wie ist die ambulante Radiologie gegenüber den Finanzinvestoren aufgestellt, und wie wird auf den zunehmenden Einfluss von Finanzinvestoren in der Ärzteschaft und in der Politik reagiert?
Wir kommen an den Investoren nicht mehr vorbei, dafür haben sie inzwischen einen zu großen Einfluss. In der ambulanten Radiologie sind 20 Prozent des Marktes in investorengeführten Ketten konsolidiert. Nur in der Augenheilkunde (30 Prozent), Dialyse (40 Prozent ) und Labormedizin (50 Prozent) ist der Anteil höher. Es müssen Konzepte entwickelt werden, die ein Nebeneinander unterschiedlicher Praxisformen erlauben. Auf dem 126. Deutschen Ärztetag wurden in mehreren Beschlüssen Maßnahmen formuliert, die den Einfluss von Investoren auf die ambulante Versorgung einschränken sollen. Auch die Gesundheitsministerkonferenz befasst sich mit der Problematik und sucht nach Antworten.
Um sich zu behaupten und eigene Positionen durchzusetzen, braucht es Einfluss sowie Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Muss die Radiologie ihre Wichtigkeit für die ambulante gesundheitliche Versorgung gegenüber Entscheidungsträgerinnen und -trägern in der Politik noch deutlicher machen und wenn ja, wie?
Leider waren wir Radiologinnen und Radiologen in den letzten Jahrzehnten verhältnismäßig zurückhaltend, was unser Engagement in der Verbandsarbeit und Selbstverwaltung anbelangt. Wir haben einen Anteil von ca. 2,3 Prozent unter den Ärztinnen und Ärzten, sind aber nur zu ca. 1 Prozent in der Selbstverwaltung vertreten. Das müssen wir unbedingt ändern, um unsere Interessen zu stärken. Wir müssen als GESAMTE radiologische Gemeinschaft auftreten, in der alle Interessensgruppen vertreten sind, also der Berufsverband BDR, die Fachgesellschaft DRG und der Verband inhaber-geführter Radiologie-Praxen, die Radiologengruppe 2020. In Zusammenarbeit mit anderen Facharztgruppen, zum Beispiel im Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa), aber auch auf lokaler und regionaler Ebene, können wir unsere Position als Diagnostikerinnen und Diagnostiker sowie als Therapeutinnen und Therapeuten festigen. Auch in der Selbstverwaltung, den Ärztekammern und Vertreterversammlungen der Kassenärztlichen Vereinigungen, sollten wir uns mit anderen diagnostischen Fächern zusammenschließen und besonders jüngeren Kolleginnen und Kollegen das Engagement ermöglichen, damit sie frühzeitig Verbindungen knüpfen und ihre Themenschwerpunkte, unterstützt und begleitet von den älteren Ärzte-Generationen, einbringen können. Ich sage bewusst „ermöglichen“, weil das berufspolitische Engagement, vor allem während der zeitintensiven Weiterbildung, ein besonderes Entgegenkommen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie Vorgesetzten, zum Beispiel in Form von Freistellungen, bedarf.
Welche Möglichkeiten sehen Sie noch, sich stärker und sichtbarer in der ambulanten Patientenversorgung einzubringen – Stichwort Selektivverträge?
In den Entwürfen zum AOP-Katalog (Ambulantes Operieren-Katalog) werden zurzeit viele Leistungen, die in der ambulanten Radiologie erbracht werden, thematisiert. In einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen werden Selektivverträge zwischen den Krankenkassen und der Fachgruppe im Bereich der Kardio- und Prostata-Diagnostik entwickelt, die als Blaupause für die anderen Kassenärztliche Vereinigungen dienen können. Aber auch jede einzelne Radiologin und jeder einzelne Radiologe kann in der täglichen Routine etwas dafür tun, für seine Patientinnen und Patienten sowie Zuweiserinnen und Zuweiser wieder sichtbarer zu werden, indem er oder sie noch mehr den persönlichen Kontakt zu ihnen sucht.
Zum Abschluss ein Blick in die Glaskugel: Wo sehen Sie die ambulante Radiologie in der Zukunft?
Soll ich einen optimistischen oder einen pessimistischen Blick wagen? Der pessimistische Blick zeigt mir, dass die Radiologie-Praxen von international agierenden Kapitalgebern und Konzernen beherrscht und viele ursprünglich radiologische Kompetenzen in die Hände anderer Fachgruppen gewandert sein werden. Der optimistische Blick zeigt mir, dass wir als radiologische Gemeinschaft es geschafft haben werden, sowohl unsere Position als Diagnostikerinnen und Diagnostiker wie auch als Therapeutinnen und Therapeuten in der ambulanten und stationären Patientenversorgung als auch unsere eigenen Interessen in der Selbstverwaltung zu stärken. Wir werden uns auf allen Ebenen weiter professionalisiert und in bestimmten Bereichen mit anderen Fachgruppen für die Diagnostik und Therapie unserer Patientinnen und Patienten zusammengeschlossen haben. Wir werden uns Künstliche Intelligenz für die Bilderstellung und Befundung sowie die Diagnosestellung und das Therapie-Monitoring optimal zu Nutze gemacht haben, und wir werden ganzheitlich und nachhaltig wirtschaften. Es wird einerseits eine zunehmende Konsolidierung der größeren Praxen, andererseits eine zunehmende Vernetzung kleinerer Praxen in Einkaufsgemeinschaften und anderen Interessensverbünden geben. In den Praxen wird es ein gesundes Miteinander von angestellten und selbstständig tätigen Radiologinnen und Radiologen und nicht-ärztlichen Mitarbeitenden geben, und wir werden weiterhin sagen können, dass wir den schönsten Beruf der Welt haben.
Beachten Sie auch den von Dr. Ulrike Engelmayer, Prof. Nina Schwenzer und weiteren Mitgliedern des Forums niedergelassener Radiologen (FuNRad) in der Deutschen Röntgengesellschaft sowie des Berufsverbandes Deutscher Radiologen verfassten Leitfaden, der sich mit allen relavanten Fragen rund um das Selbstständig-Werden in der ambulanten Radiologie befasst. ."Erfolgreich in die eigene Praxis - Leitfaden für die Selbständigkeit in der Radiologie". Hier geht es zum Interview, das wir zum Thema Leitfaden mit Dr. Ulrike Engelmayer und Prof. Nina Schwenzer geführt haben. |