INTERVIEW

„Der präventive Bereich gehört zu den Wachstumsfeldern der Radiologie“

In der Langzeitstudie „NAKO – Gemeinsam forschen für eine gesündere Zukunft“ werden seit 2014 zufällig ausgewählte Bundesbürgerinnen und Bundesbürger medizinisch untersucht, um in der Bevölkerung weit verbreitete Krankheiten genauer zu erforschen und ihre Prävention sowie Behandlung zu verbessern. 205.000 Personen haben bisher an der NAKO-Basisuntersuchung teilgenommen, davon über 30.000 an der zusätzlichen MRT-Ganzkörperuntersuchung. Die MRT-Untersuchung soll dazu beitragen, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie das Zusammenwirken genetischer Faktoren, Umweltbedingungen und Lebensgewohnheiten zum Entstehen von Krankheiten beiträgt. Leiter der MRT-Substudie ist Professor Fabian Bamberg, Ärztlicher Direktor der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Freiburg. Wir haben ihn zur MRT-Untersuchung und seiner Arbeit dabei befragt.

Professor Fabian Bamberg © Universitätsklinkum FreiburgProfessor Bamberg, was ist das Ziel der MRT-Untersuchungen in der NAKO?
Professor Bamberg: Wir hatten die Vision, eine wirklich umfassende Bilddaten-Biobank aufzubauen, mit der wir in der Lage sind, Krankheitsentstehung und -verläufe besser zu verstehen, vorherzusagen und damit auch insbesondere im Bereich der Prävention durch die Bildgebung einen wesentlichen Beitrag zum gesunden Altern leisten zu können. Denn wenn wir ehrlich sind, ist der Übergang vom Gesunden zur Präposition zum prä-pathologischen und zur evidenten Pathologie fließend und noch nicht vollumfänglich verstanden. Dabei wollten wir die interne Validität so hoch wie möglich halten: gleiches Untersuchungsprotokoll, identische 3T-Scanner an fünf Standorten, gleiche Qualitätsmanagement-Maßnahmen. Nur so können wir die diskreten Zusammenhänge mit anderen Krankheitsparametern verstehen.

Wie führt man ein solch komplexes Projekt durch?
Das geht natürlich nur mit einem riesigen kompetenten Team, tollen Partnerinnen und Partnern, persönlicher Hingabe, vielen Ressourcen und über einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren! Wir waren von Anfang an als Imaging Core multizentrisch in Greifswald, Heidelberg, Bremen und München/Freiburg aufgestellt und konnten so Expertise ideal bündeln und das Imaging-Projekt koordinieren. Auch die Zusammenarbeit mit vielen anderen Disziplinen - in erster Linie der Epidemiologie - war sehr lehrreich und fruchtbar, da hier bereits ein sehr professionelles Umfeld zum Aufbau für große Kohortenstudien existierte.

Welche Institutionen und Personen sind und waren beteiligt?
Sicherlich über die Jahre Unzählige. Man muss aber Professor Maximilian Reiser als einen der Vordenker in der Anfangsphase herausheben und natürlich die vielen Partnerinnen und Partner an den Einheiten des Imaging Cores an den erwähnten Standorten wie etwa in Greifswald. Hier erfolgen die gesamte Koordination und die vielen QM-Maßnahmen, unter anderem auch in Hinblick auf die Zufallsergebnisse. Die wirkliche Arbeit der MRT-Datensammlung wurde bzw. wird allerdings durch die vielen Kolleginnen und Kollegen an den Imaging-Sites in Augsburg, Berlin, Essen, Mannheim und Neubrandenburg erfolgreich durchgeführt. Hier hat sich über die Jahre ein unglaublicher Teamspirit entwickelt. Möglich wurde das Ganze allerdings auch nur durch die vielen Förderer.

Worin liegt Ihrer Ansicht nach der Benefit solcher Untersuchungen für Patientinnen und Patienten?
Das wird sich ganz klar erst in den nächsten Jahren etablieren. Aber durch die hochauflösende Darstellung von funktionellen und morphologischen Phänotypen mittels MRT können wir sicher Risikokonstellationen identifizieren, die hochspezifisch sind und viel besser als genetische Informationen oder andere Biomarker sind und individuelle therapeutische Maßnahmen ermöglichen. Ich bin sicher: Der präventive Bereich gehört zu den Wachstumsfeldern der Radiologie.

Bei der großen Zahl untersuchter Personen wird es bei der Untersuchung auch Zufallsbefunde gegeben haben. Wie sind Sie damit umgegangen?
Allerdings gab es solche Zufallsbefunde. Das war einer der großen Diskussionspunkte in der Planungsphase. Wir haben uns auch ethisch dafür entschlossen, dass alle Untersuchungen von Radiologinnen und Radiologen nach strengen Vorgaben auf eventuelle Auffälligkeiten geprüft werden, die sogenannten Zufallsergebnisse / Incidental Findings. Das hat auch dank des Einsatzes der Kolleginnen und Kollegen in Heidelberg hervorragend geklappt.

Wie groß ist nach Ihrer Einschätzung das Interesse an der Nutzung der so zusammengekommenen Daten durch medizinische Institutionen?
Riesig, die Daten der MRT-Basisuntersuchung sind jetzt für alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im deutschsprachigen Raum freigegeben und es gibt zunehmend an allen Einrichtungen Gruppen, die sich mit großen Datenmengen und subklinischen Erkrankungsgraden beschäftigen, nicht nur in der Radiologie. Alle haben auf diesen Moment gewartet. Wir hatten damals keine Vorstellung davon, wie wir diese riesige Datenmenge auswerten könnten und dann kam der Schub der Digitalisierung mit Künstlicher Intelligenz, Deep-Learning und Radiomics. Damit hatten wir initial nicht gerechnet.

Werden diese Methoden schon jetzt bei der Auswertung der Daten eingesetzt und wenn ja, wie genau?
Natürlich, diese Aspekte sind für die Auswertung von solchen enormen Datenmengen essentiell und werden auch bereits für die Auswertung eingesetzt. Eine manuelle Auswertung ist bei über 30,000 Untersuchungen unmöglich. Wir freuen uns insbesondere, dass wir ein großes DFG-Schwerpunktprogramm mit dem Thema Radiomics und Advanced Postprocessing mittels Künstlicher Intelligenz – der SPP2711 – ins Leben rufen konnten. Innerhalb dieses Förderinstruments der DFG werden insbesondere diese Anwendungen in großen Kohortenstudien, wie der NAKO gefördert. Hier verwenden bereits viele Projekt die neuen KI-basierten Methoden, um die Rolle der Bildgebung bei der Krankheitsentstehung und Vorhersage besser zu verstehen. Die NAKO ist insofern auch ein Trigger der Entwicklung der bildbasierten Künstlichen Intelligenz.

Wie geht es weiter? Wird es eine Folgeuntersuchung geben?
Auch das wird spannend. Wir sind bereits in einer ersten MRT-Folgeuntersuchung nach vier bis fünf Jahren, welche wir bereits zu über 60 Prozent abgeschlossen haben. Aktuell befinden wir uns in der internationalen Begutachtung für eine zweite MRT-Folgeuntersuchung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Das wird dann wirklich einzigartig. Es ist phantastisch, die Entwicklung von Menschen im MRT über einen so langen Zeitraum zu begleiten.


Über die Studie „NAKO – Gemeinsam forschen für eine gesündere Zukunft“
Die Langzeitstudie „NAKO – Gemeinsam forschen für eine gesündere Zukunft“ wird von einem Verbund von 27 Universitäten, Helmholtz-Zentren, Leibniz-Instituten und weiteren Institutionen durchgeführt. Seit 2014 werden in der NAKO Gesundheitsstudie zufällig ausgewählte Personen zwischen 20 und 69 Jahren in 18 Studienzentren untersucht und nach ihren Lebensumständen befragt. Ziel ist es, Erkrankungen wie etwa Krebs, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen genauer zu erforschen und darüber die Prävention und Behandlung dieser Krankheiten zu verbessern. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, den beteiligten Ländern und der Helmholtz-Gemeinschaft gefördert. 205.000 Personen haben an der NAKO Basisuntersuchung bisher teilgenommen, davon 30.000 an der zusätzlichen MRT-Ganzkörperuntersuchung. Das Untersuchungsprotokoll wurde an fünf MRT-Zentren auf einem 3T-Scanner durchgeführt und vom NAKO Imaging Core koordiniert. Die Basis-Untersuchung ist nun für die wissenschaftliche Nutzung freigegeben. Die Daten können über den Transfer Hub der NAKO unter https://transfer.nako.de/transfer/index beantragt werden.
veröffentlicht am Donnerstag, 2. Juni 2022