Zerebrale Arteriographie

Unter Zugrundelegung der Arbeiten Walter Edward Dandys (1886-1946) entwickelte der portugiesische Neurologe Egas Moniz (1874-1955) eine neue Technik zur indirekten Darstellung von Gehirntumoren. Seine Überlegungen basierten auf der Tatsache, dass eine einfache Lokalisation intrakranieller Läsionen durch die röntgenologische Darstellung der von ihnen hervorgerufenen Deformierungen der zentralen Gehirnstrukturen, wie etwa der Ventrikel (Dandy) auch durch Abbildung der Blutgefäße, möglich sein sollte. Allerdings konnte das vom französischen Neurologen und Radiologen Jean-Athanase Sicard (1872-1929) zur Myelographie entwickelte und auch zur Ventrikulographie erfolgreich eingesetzte Kontrastmittel Lipiodol nicht für arterielle Untersuchungen benutzt werden. Die Viskosität, die zu Fettembolien führen konnte und die Hyperosmolarität dieses Kontrastmittels war in der zerebralen Angiographie sehr nachteilig. Bei der Suche nach einem geeigneten Kontrastmittel erwies sich bald das isotonische Thorotrast als besser verträgliche, ausgezeichnet schattengebende und weniger gefährliche Substanz zur Arteriographie.

Thorotrast wurde zum ersten Mal von Dos Santos, Lamas und Caldas zur Sichtbarmachung von Arterien der Extremitäten eingesetzt. Vor 90 Jahren, am 14. Oktober 1931 gelang Moniz das erste gute zerebrale Arteriogramm mit Thorotrast. Thoriumverbindungen erzeugen aufgrund der hohen Opazität für Röntgenstrahlen (es hat einen hohen Wirkungsquerschnitt für die Absorption) hervorragende Bilder. Das ausschließlich aus dem natürlichen Thorium-232 bestehende und sehr langlebige (Halbwertzeit 1,4 1010Jahre) Radioisotop bot eine hohe Bildqualität und hatte im Vergleich zu den damals verfügbaren Alternativen praktisch keine unmittelbaren Nebenwirkungen. Seit seiner Markteinführung im Jahr 1931 wurden weltweit etwa 2 bis 10 Millionen Patienten mit Thorotrast behandelt. Zahlreiche epidemiologische Studien belegten, dass durch die Verwendnung von Thorotrast ein erhöhtes Risiko für bestimmte Krebsarten wie Cholangiokarzinome, Angiosarkome, hepatozelluläre Karzinome und Leberfibrosen bekannt, da Thorotrast im retikulo-endothelialen System (RES) von Leber, Milz und Lymphknoten lebenslang gespeichert wird.

Direkte perkutane zerebrale Arteriographie mit Thorotrast (1931). 
aus: Moniz E, Die Vorzüge des Thorotrasts bei arterieller Encephalographie, Röntgenpraxis Heft 2, 1932. Bibliothek Deutsches Röntgen-MuseumDirekte perkutane zerebrale Arteriographie mit Thorotrast (1931). aus: Moniz E, Die Vorzüge des Thorotrasts bei arterieller Encephalographie, Röntgenpraxis Heft 2, 1932. Bibliothek Deutsches Röntgen-MuseumIn den folgenden 50 Jahren wurden verschiedene hypertonische und auch isotonische Kontrastmittel für die zerebrale Arteriographie verwendet. Technische Innovationen, wie Wechslersysteme ermöglichten die schnellere Erstellung von Röntgenserienaufnahmen. Ein wichtiger Schritt in der Entwicklung der modernen Angiographie waren die bereits 1935 vom niederländischen Neuroradiologen Bernhard George Ziedes des Plantes (1902-1993) beschriebene Verfahren der manuellen Subtraktion, die lange Zeit als Standardmethode der Angiographie galt. Diese Entwicklungen haben die zerebrale Arteriographie zu einem sicheren und weit verbreiteten Verfahren gemacht. Seit den 1970er Jahren und mit verbesserter Rechnerkapazität in den 1980er Jahren hat Entwicklung der DSA neue wegweisende minimalinvasive therapeutische Eingriffe bei Patienten mit zerebrovaskulären Erkrankungen ermöglicht.