INTERVIEW

Von Hochrisikoscreening bis MRT-Untersuchung: Europas Mammadiagnostiker diskutieren neue Forschungsergebnisse in Berlin

Ob Tomosynthese, Magnetresonanztomografie (MRT) oder auch Nachwuchsförderung – in der Brustkrebsdiagnostik gibt es viele Themen und Herausforderungen. Die Mammadiagnostiker treffen sich auf der Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Brustbildgebung (EUSOBI) am 22. und 23. September in Berlin, um Lösungen und aktuelle Forschungsergebnisse zu diskutieren. Die neusten Entwicklungen in der Brustbildgebung erläutern im gemeinsamen Interview Prof. Dr. Gábor Forrai, EUSOBI-Präsident, Dr. Julia Camps-Herrero, designierte EUSOBI-Präsidentin, PD Dr. Eva Maria Fallenberg, Oberärztin für Mammadiagnostik am Institut für Radiologie der Charité Berlin, Vorsitzende des European Diplome of Breast Imaging und hauptverantwortliche Kongressorganisatorin, Prof. Dr. Ulrich Bick, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Ausschusses der EUSOBI, sowie Dr. Ritse Mann, PhD, Vorsitzender des European Young Club Committee.

DRG: Die Tomosynthese, also die 3D-Mammografie, wird zurzeit intensiv in Hinblick auf Screening und Diagnostik diskutiert. Wo genau liegen hier die Herausforderungen?

Prof. Dr. Gábor Forrai: Die Tomosynthese ist eine Technik, die die Entdeckung der Mammakarzinome durch weniger Überlagerungen und deutlichere Darstellung der Parenchymdistorsionen verbessert. Die meisten Studien haben diesen Effekt allerdings nur in Kombination mit einer 2D-Mammografie gezeigt. Hierdurch kam es zu einer signifikanten Dosiserhöhung für die einzelne Frau. Ergebnisse zu sogenannten „synthetischen“ 2D-Mammografien, die aus den Tomosynthesedaten berechnet werden, liefern vielversprechende Möglichkeiten, die Strahlenexposition zu reduzieren. Eine weitere Herausforderung sind die unterschiedlichen Einbestellungsraten: In einigen Studien wurden sie durch Einsatz der Tomosynthese reduziert, in anderen erhöht. Es ist aber ein bekanntes Phänomen, dass neue Verfahren anfangs eine schlechtere Spezifität aufweisen, also vermehrt zu falschem Alarm führen. Das verbessert sich mit zunehmender Erfahrung deutlich. Außerdem gibt es eine Anzahl an benignen Veränderungen, die in der Tomosynthese bösartig erscheinen und daher ebenfalls zu unnötigen Wiedereinbestellungen führen. Dies verunsichert die Frauen, was wir verhindern möchten. In der Einführungssitzung unserer Jahrestagung „Challenges to face in the future of screening“ wird die mögliche Rolle der Tomosynthese, insbesondere aber auch das Thema Übertherapie und individualisiertes Screening beleuchtet werden. PD Dr. Stefanie Weigel aus Münster fokussiert darin beispielsweise auf die Problematik der Intervall-Karzinome.

Auch beim Hochrisikoscreening gibt es einige Neuigkeiten aus der Forschung...

Prof. Ulrich Bick: Allerdings. So sind inzwischen zusätzlich zu den BRCA1/2-Mutationen eine Vielzahl von genetischen Veränderungen mit unterschiedlicher Penetranz bekannt, die zum Teil nur in Kombination mit anderen Genen das Risiko für Brustkrebs relevant erhöhen. Einen Überblick hierzu wird Prof. Alfons Meindl aus München geben. Prof. Fiona Gilbert, Leiterin der Radiologie an der Universität Cambridge und eine der führenden Forscherinnen in Großbritannien, wird die aktuellen Protokolle und Ihre Anpassungen für Hochrisiko-Screenings und Nachuntersuchungen in Europa in der Session „Increased risk for breast cancer: An update“ darstellen.

Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus – interessieren sich junge Radiologinnen und Radiologen für die Brustbildgebung?

Dr. Ritse Mann, PhD: In ganz Europa fehlt es zunehmend an engagierten Mammadiagnostikern. In Großbritannien ist sogar das nationale Screeningprogramm gefährdet. Zusammen mit einer großen Anzahl von Radiologen im Alter von über 55 Jahren wird der Mangel an Mammadiagnostikern in den kommenden Jahren ein wesentliches Problem werden. Besonders relevant in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass Brustbildgebung in den vergangenen Jahren zunehmend komplexer geworden ist. Keine andere Spezialisierung in der Radiologie ist so vielfältig oder patientenzentriert. Deshalb sind besonders energische, geduldige und flexible Radiologen nötig, um die freiwerdenden Stellen in den kommenden Jahren zu besetzen. Das kann nur gelingen, wenn junge Radiologen sich frühzeitig in der Brustbildgebung engagieren, bereits während oder sogar vor der Weiterbildung, und immer auf dem aktuellen Stand bleiben. Hier soll der EUSOBI Young Club eine Plattform für junge Radiologen und Forscher auf dem Gebiet der Brustbildgebung bieten und Kollegen als Sparringspartner und Freunde zusammenbringen. Er fördert die Ausbildung talentierter junger Radiologen und bietet einen Weg in die akademische Welt der Brustbildgebung, die vielfach als verschlossen wahrgenommen wird. Um die direkte Interaktion und den Austausch mit der Community zu ermöglichen, kommuniziert der EUSOBI Young Club via Facebook, Twitter und Website. Jede/r mit Interesse an Brustbildgebung und jünger als 40 Jahre ist als Mitglied herzlich willkommen.

PD Dr. Eva Maria Fallenberg: Um besonders das Engagement der jungen Generation in der Mammadiagnostik zu würdigen, wurden drei Preise etabliert: in der „Young Scientists’ Session“ werden der “Carla Boetes Award, der „MD/Young Resident Initiative Grant“ und der „Young Physician-Scientist Grant“ verliehen sowie die besten eingereichten Abstracts präsentiert.

Wie wird bei jungen Radiologen darüber hinaus das Spezialwissen in der Brustbildgebung gefördert?

PD Dr. Eva Maria Fallenberg: Um die Qualität der Ausbildung in der Mammadiagnostik auf ein einheitliches europäisches Niveau zu bringen, wurde seit Jahren erfolgreich der MRT-Kurs der EUSOBI mit höchstkarätigen Referenten etabliert. Nach und nach kamen dann die Kurse zur Tomosynthese und der Ultraschallkurs hinzu. Um die Ausbildungserfolge auch objektiv beurteilen zu können, wurde analog zu dem European Diploma in Radiology (EDiR) der European Society of Radiology ein European Diploma of Breast Imaging (EDBI) etabliert, welches aus einem schriftlichen und mündlichen Prüfungsteil besteht und immer in Kombination mit dem EUSOBI-Jahreskongress und dem ECR durchgeführt wird.

Apropos Fortbildung: Auf der Jahrestagung geben jedes Jahr hochkarätige Referenten aus Europa und den USA ihr Wissen weiter. Welche Experten dürfen die Teilnehmer in diesem Jahr erwarten?

Dr. Julia Camps-Herrero: Die EUSOBI-Goldmedaille wir dieses Jahr an Prof. Dr. Tibot Tot aus Schweden verliehen. Er wird damit für seine herausragende Arbeit im Bereich Brustpathologie mit Fokus auf radiologisch-pathologische Korrelationen geehrt – ein Thema, das in der Ära der Brust-MRT besonders wichtig ist. Eine lang erwartete Studie über den Einfluss von MRT-Untersuchungen vor der Operation auf die klinischen Ergebnisse wird Prof. Dr. Francesco Sardanelli von der Universität Mailand vorstellen. Er ist einer der bekanntesten europäischen Forscher auf diesem Gebiet. Dr. Elisabeth Morris aus New York, frühere Präsidentin der Society of Breast Imaging (SBI) und eine der wichtigsten Meinungsführerinnen in der Brustbildgebung, wird über die zurzeit herausfordernde Situation des Brustkrebsscreenings in den USA sprechen. Die derzeitige Präsidentin der SBI, Dr. Wendy DeMartini, wird einen Vortrag über die Bedeutung der Parenchymanreicherung in der Brust-MRT halten. In diesem Jahr stellen sich außerdem die kanadischen Experten für Brustbildgebung auf dem Kongress vor, repräsentiert von Dr. Jean M. Seely aus Ottawa.

PD Dr. Eva M. Fallenberg: International renommierte Redner der Deutschen Gesellschaft für Senologie (DGS) werden in der Session „EUSOBI meets Germany: What the radiologist needs to know about...“ die wichtigen interdisziplinären Schnittstellen und für die Radiologen notwendigen Kenntnisse darstellen: Wir freuen uns auf die Vorträge von Prof. Dr. Christoph Heitmann, Praxis Heitmann-Fansa, München, einem der erfahrensten Plastischen Chirurgen in dem Bereich Mammarekonstruktion, und Prof. Dr. Diana Lüftner, Charité Berlin, Vorstandsmitglied der deutschen Gesellschaft für Hämatoonkologie. Prof. Dr. Carsten Denkert, kommissarischer Leiter der Pathologie und Leiter der AG „Transnationale Tumorforschung“ der Charité wird über pathologische Biomarker berichten, Prof. Dr. Bernd Gerber, Ordinarius für Gynäkologie, Universitätsfrauenklinik Rostock, wird zum Management der Axilla die aktuellsten Daten der von ihm betreuten „INSEMA-Studie“ vorstellen.

Prof. Dr. Gabor Forrai: Unser diesjähriges Gastland stellt übrigens nicht nur hochkarätige Experten – auch die EUSOBI-Auszeichnung für das meistzitierte Paper zum Thema Brustbildgebung in der „European Radiology“ geht 2017 nach Deutschland. Ein weiteres sehr wichtiges Thema, die typischen Krebsmerkmale, spricht Prof. Dr. Douglas Hanahan in seiner Keynote-Lecture „Hallmarks of Cancer“ an. Er leitet das Schweizerische Institut für Experimentelle Krebsforschung in Lausanne und ist einer der Pioniere in der Ära der funktionellen genetischen Krebsforschung. Sein multidisziplinärer Ansatz hat weitreichend zum heutigen Verständnis der Tumor-Mikroumgebung beigetragen. Er entwickelte eines der ersten transgenetischen Mausmodelle. Ein sehr wichtiges Thema, das auch uns Radiologen immer mehr betrifft und sicher großen Einfluss auf die zukünftige Ausrichtung unserer Forschungsaktivitäten haben wird.

Vielen Dank für das Gespräch!

veröffentlicht am Dienstag, 12. September 2017