Das Breast Imaging Reporting and Data System (BI-RADS) des American College of Radiology (ACR) ist ein Standardwerk zur einheitlichen Durchführung und Befundung von Mammographien. Es besteht aus einem Lexikon für diagnostische Begriffe und einer Klassifikation für die abschließende Beurteilung und ermöglicht so eine standardisierte Beurteilung der Brustzusammensetzung, der Beurteilbarkeit im Bezug auf die eingesetzte Methode und der Wahrscheinlichkeit einer Malignomdiagnose. Das BI-RADS wurde 1997 erstmalig veröffentlicht und seither mehrfach aktualisiert. Die aktuelle 5. Auflage hat die von Prof. Dr. Markus Müller-Schimpfle, Vorsitzender der AG Mammadiagnostik in der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG), ins Leben gerufene working group on breast imaging (WOBI) umfassend kommentiert.
Herr Professor Müller-Schimpfle, welche Vorteile bietet ein strukturiertes Befundungssystem in der Mammographie?
Es gibt drei große Vorteile eines strukturierten Befundungssystems. Erstens geht es um eine Steigerung der Effizienz. Als Befunder weiß ich sehr viel besser, worauf ich zu achten habe und was die relevanten Befundungsmerkmale sind. Ziel davon ist es zu einer möglichst korrekten Diagnose zu kommen. Zweitens geht es um Effektivität. Für den Patienten ist es wichtig, dass das, was befundet wird, auch effektiv ist, also eine wichtige Rolle in der Diagnose-Therapie-Kette spielt. Diese Art von Effektivität erreicht das BI-RADS-System dadurch, dass die Befunde in verschiedene Beurteilungskategorien eingeteilt werden, sodass mit einer sehr klaren Trennschärfe gleichzeitig Aufträge verbunden sind. Schließlich ist ein gesamthaftes Qualitätssicherungssystem sehr viel besser mit einem strukturierten Befundungssystem möglich als mit individuellen Formulierungen. Wir tun uns bei persönlichen Befundungsstilen oftmals schwer, die Befunde so zu kategorisieren und zu strukturieren, dass wir den Effekt des Befundes im Hinblick auf Diagnosesicherheit und Therapie richtig einschätzen können. Also drei wichtige Aspekte: Effizienz für den Befunder, Effektivität für den Patienten und Qualitätssicherung für das Gesamtsystem.
Wie ist der Gesamteindruck der 5. Auflage des BI-RADS? Haben die Amerikaner gute Arbeit geleistet?
Wie es immer so ist, gibt es positive und negative Seiten. Im Großen und Ganzen überwiegt nach Meinung der WOBI und auch nach meiner persönlichen Meinung aber das Positive. Es gibt viele Punkte in der 5. Auflage des BI-RADS-Systems, die wir als deutschsprachige Radiologen guten Gewissens als „gut gemacht“ und „gut gedacht“ bezeichnen können. Dies betrifft insbesondere bestimmte „Entrümpelungen“ von Details wie etwa im Bereich der Mammographie-Diagnostik, des Mikrokalks und der Ultraschall-Diagnostik. Wobei man hier sehr genau darauf achten muss, dass bestimmte Aspekte, die wir im deutschsprachigen oder europäischen Raum über viele Jahre erarbeitet haben, nicht durch die mehr nomenklatorische Bearbeitung im englischsprachigen Raum wieder verloren gehen.
Im Oktober 2014 gründete sich die working group on breast imaging, kurz WOBI, mit dem Ziel der ausführlichen Kommentierung der neuen BI-RADS-Auflage. Wie bewerten Sie in der Rückschau die Zusammenarbeit der elf Fachgesellschaften aus Deutschland und Österreich?
Ich war positiv überrascht, wie die Arbeit der WOBI verlaufen ist. Ich hätte jedoch das Projekt auch nicht angeschoben, wenn ich nicht davon überzeugt gewesen wäre, dass elf Fachgesellschaften selbst über Ländergrenzen hinweg problemorientiert zusammenarbeiten können. Alle Fachgesellschaften eint, dass sie sich mit der Mammadiagnostik auseinandersetzen. Das Geheimnis des Erfolges an dieser Stelle liegt glaube ich darin, dass wir sehr stark themenzentriert gearbeitet haben und dass wir ein striktes Konsensprinzip hatten. Alle Gesellschaften wussten zudem genau um die Bedeutung des Anliegens. Entsprechend wurden jeweils die Spitzenvertreter in die WOBI entsandt. Es wussten auch alle, dass eine Nichteinigung zum Schaden aller sein würde. Was uns natürlich auch geeint hat, war einfach die Vorgehensweise unserer befreundeten amerikanischen Fachgesellschaft, des American College of Radiology, keine Kommentierung der deutschsprachigen Ausgabe des BI-RADS-Lexikons zuzulassen.
Solch ein Befundungssystem für den deutsch-österreichischen Raum nochmal ganz neu zu denken, das stand gar nicht auf der Agenda?
Wir haben diese Frage durchaus diskutiert, kamen jedoch zu dem Schluss, ein an sich doch sehr erfolgreiches Modell nicht über Bord werfen zu wollen. Ganz im Gegenteil wollten wir zeigen, dass wir durchaus einverstanden sind mit einer internationalen und standardisierten Denkweise in der Mammadiagnostik. Denn man muss ja auch ganz klar und unmissverständlich festhalten: Ein System, das sich so viele Jahre gehalten hat wie das BI-RADS-Lexikon, kann im Grunde nicht ganz falsch sein. Es dauerte ja allein zwölf Jahre, bis es zu einer Neuauflage kam. Das bedeutet, es wurde zwölf Jahre lang zitiert und verwendet. So etwas gibt es in der Medizin nur ganz selten.
Welche Punkte heben Sie in Ihrer Kommentierung positiv hervor bzw. gibt es auch welche, deren Übertragbarkeit im deutschsprachigen Raum problematisch ist?
In der Mikrokalkdiagnostik haben wir - neben der Erstbeschreibung durch Salomon vor mehr als 100 Jahren in Berlin - durch die Vorarbeiten im französischen und deutschen Sprachraum bereits über 40 Jahre Detail-Erfahrung. Hier wurde die morphologische Beurteilung der einzelnen Verkalkungen im neuesten BI-RADS-Lexikon sehr stark vereinfacht. Im Grunde wird jetzt nur noch zwischen gutartig und möglicherweise bösartig unterschieden. Das erschien uns doch zu einfach, zumal neuere Arbeiten gezeigt haben, dass es wichtig ist eine Dreigliederung aus benigne, indifferent und typisch maligne zu haben. Diese würden wir mit dem neuesten BI-RADS-Lexikon verlieren und deswegen war auch die WOBI sehr einhellig der Meinung, dass wir das nicht über Bord werfen und diese Differenzierung durchaus beibehalten sollten. Das Ultraschallkapitel ist ja teilweise auch unter deutscher Mitarbeit entstanden. Da hat sich vieles positiv entwickelt. Es sind verschiedene Aspekte mit hinein gekommen, so beispielsweise die Elastographie. Zudem wurde auch eine gewisse Vereinfachung der Frage, wie Ränder im Ultraschall zu beurteilen sind, aufgenommen. Das ist alles sicherlich zu begrüßen. Leider hat man mit der 5. Auflage versäumt, Fragen der Beurteilbarkeit der einzelnen Verfahren standardisiert aufzunehmen, die ja wichtig sind für Patientin und Zuweiser. Im MRT-Teil haben wir überwiegend sehr positive Eindrücke von dem, was hier verändert wurde, z.B. im Bereich der nicht-herdförmigen Befunde. Sinnvollerweise wurde das etwas vereinfacht. Kein unwichtiges Detail ist das Kapitel „Follow-Up“ bzw. Qualitätssicherung. Dieses ist ganz klar auf das US-amerikanische Gesundheitssystem zugeschnitten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das Wort „Screening“ meint hier mehr die routinemäßige Früherkennungsuntersuchung, während wir im deutschsprachigen Raum damit das populationsbezogene Mammographie-Screening meinen. Das sind sehr grundlegende Unterschiede. Daraus folgt, dass auch die Qualitätssicherungsempfehlungen für den US-amerikanischen Gesundheitsversorger sehr anders sind, möglicherweise auch klug dort platziert sind, das mag und kann ich an dieser Stelle auch gar nicht beurteilen. Aber was die WOBI sehr wohl beurteilen konnte ist, dass dies auf den deutschsprachigen Raum, sowohl Deutschland wie Österreich, überhaupt nicht zutrifft. Deswegen haben wir an der Stelle auch die klare Empfehlung ausgesprochen, dieses Follow-Up-Kapitel für den deutschsprachigen Raum komplett zu ignorieren.
Wie geht es jetzt weiter? Was sind die nächsten Schritte in diesem Abgleichungs- bzw. Angleichungsprozess?
Die deutsche Ausgabe ist für April angekündigt. Diese darf unter der Bedingung veröffentlicht werden, dass die Übersetzung sich strikt an das Original des Lizenzgebers ACR hält. Die Fachgesellschaften und die Deutsche Röntgengesellschaft wollten bereits diese Übersetzung mit der Kommentierung versehen, aber leider ist das derzeit vom ACR nicht gewünscht. Aus freundschaftlicher Sicht kann ich diese Entscheidung in Teilen nachvollziehen, aus Sicht eines deutschsprachigen Mammadiagnostikers bedaure ich dies jedoch zutiefst.
Was geschieht dann mit dem Kommentar, den die WOBI verfasst hat?
Der Kommentar erscheint in der atuellen Ausgabe der RöFo (April 2016) und damit in dem Leitmedium der Fachgesellschaft, die es im Kern auch betrifft. Es wird nachgeordnet dann auch in weiteren Thieme-Zeitschriften erscheinen, die einen Bezug zu mammadiagnostischen Themen haben – Gynäkologie, Geburtshilfe, Pathologie und Senologie. In jedem Fall werden wir auf den diversen Kongressen der Fachgesellschaften auf den Kommentar hinweisen und ihn somit einer breiten Fachöffentlichkeit bekannt machen.
Vielen Dank für das Gespräch!