Interview

Die Grenzen der Teleradiologie: Ein Radiologe für jedes Krankenhaus

Im Rahmen des 8. RadiologieKongressRuhr (29.-31.10.2015) sprach die Zeitung VISUS VIEW mit Prof. Norbert Hosten (Greifswald) in Bochum über das hochaktuelle Thema Teleradiologie.

Herr Prof. Hosten, kürzlich erschien von Ihnen ein Kommentar zur Teleradiologie, in dem Sie die schwindende Relevanz der Radiologen innerhalb der Befundungsprozesse befürchten. Ist die Situation wirklich so arg?

Um es vorwegzunehmen: Wir brauchen die Teleradiologie. Die Frage ist, in welchem Ausmaß und in welcher Ausprägung. Derzeit gibt es in unserem Fach zwei Strömungen. Die erste ist ein sehr liberaler Einsatz der Teleradiologie, bei dem Zuweiser und Befunder grundsätzlich räumlich und institutionell voneinander getrennt agieren. Bei diesem, in den USA bereits sehr verbreiteten Ansatz sieht der Radiologe den Patienten praktisch nur in Form von Röntgenbildern auf seinem Monitor, erstellt einen Befund und schickt diesen an den klinischen Arzt zurück. Ein ausführlicher Austausch zwischen Radiologe und Zuweiser oder zwischen Radiologe und Patient findet nicht statt. Diese Art der Teleradiologie ist für den Radiologen sehr effizient, weil er in einer schnellen Taktung viele abrechnungsrelevante Befunde erstellen kann.
Die zweite Strömung ist ein eher konservativer Ansatz. Nämlich der, einen Radiologen im Haus zu haben, der in die Behandlungsprozesse eingebunden ist. Der mit den Klinikern und den Patienten spricht, der Demonstrationen durchführt und auch für die Einhaltung des Strahlenschutzes sorgt. Letzteres ist ein ganz wichtiger Punkt: Die rechtfertigende Indikation muss gewährleistet sein. Guten Gewissens kann das nur ein fachkundiger Arzt – in den meisten Fällen ein Radiologe –, der den Fall und der die Patientin oder den Patienten kennt. Gerade die Bestätigung der rechtfertigenden Indikation kann in einem teleradiologischen Kontext leicht in Vergessenheit geraten. Brisant wird es dann, wenn durch eine Untersuchung ein Patient geschädigt wird, beispielsweise, weil eine schwangere Frau geröntgt wird. In solchen Fällen wird der Radiologe in die Verantwortung gezogen.

Die personelle Situation an Universitätskliniken und großen Häusern ist eine andere als die in kleineren Häusern. Hier ist die Teleradiologie häufig die einzige Möglichkeit, überhaupt eine fachliche Expertise zu bekommen.

Und in diesen Fällen kann die Teleradiologie ein Segen sein. Auch wir bieten teleradiologische Services für umliegende Krankenhäuser an – aber nur nachts und an den Wochenenden. Das hängt damit zusammen, dass hier in der Region viele Krankenhäuser ihre Radiologie nicht selbst betreiben und die Anbieter keine Bereitschaftsdienste an den Wochenenden haben.
Das erste Szenario, das ich beschrieben habe, geht aber noch einen Schritt weiter. Ihm liegt der Gedanke zugrunde, aus Kostengründen gar keine Radiologie in kleineren Häusern vorzuhalten, sondern komplett auf Teleradiologie zu setzen. In Deutschland sind wir bei der Umsetzung dieses Ansatzes noch recht verhalten, was sicherlich auch auf das große Bewusstsein in puncto Strahlenschutz zurückzuführen ist. Die individuell strahlensparende Untersuchungstechnik kann auch nur der Radiologe festlegen – das ist die Lenkungsfunktion des Radiologen. Grundsätzlich geht es doch um die Fragen: Welchen Mehrwert bietet der Radiologe vor Ort und was ist es uns wert, diese Expertise – sei es nun die rechtfertigende Indikation, die direkte Kommunikation oder die regelmäßige Demonstration – allen Patienten gleichermaßen zur Verfügung zu stellen? Ich spreche hier nicht von den großen Häusern oder solchen, in denen Privatpatienten behandelt werden. Seien wir ehrlich: Hier wird es den radiologischen Service immer vor Ort geben. Aber was ist mit den mittleren und kleinen Häusern, mit den ländlichen Regionen?

Die leiden unter einem großen Kostendruck und unter Umständen auch an einem Fachkräftemangel.

Die Frage, ob Geld für eine solche Dienstleistung bereitgestellt wird, ist ja eine gesellschaftliche. Derzeit gibt es den Konsens: Egal, wo jemand verunfallt, sie oder er bekommt eine CT – wo und unter welchen Voraussetzungen diese befundet wird, ist dahingestellt. Geschieht ein Unfall in München, wird mit großer Wahrscheinlichkeit ein Radiologe vor Ort sein, der sich direkt mit dem Kliniker austauscht und den Verunfallten persönlich begutachtet. Geschieht der Unfall irgendwo in Vorpommern, wird es eine CT-Untersuchung geben, deren Aufnahmen möglicherweise erst versendet werden müssen und die ohne weitere Kommunikation befundet werden. Ganz objektiv betrachtet, gibt es hier also versorgungsrelevante Unterschiede. In meinen Vorträgen bemühe ich gern folgendes Beispiel: Wenn Sie mit dem Zug von Mannheim nach Frankfurt müssen, steht Ihnen eine direkte ICE-Verbindung mit der Möglichkeit für ein 1.-Klasse- Ticket offen. Wenn Sie mit dem Zug von Pasewalk nach Stettin fahren, werden Sie eindeutig ein anderes Fahrerlebnis haben – in puncto Schnelligkeit und Komfort. Und jetzt stelle ich die Frage: Möchten wir diese Abstufungen auch in der medizinischen Versorgung hinnehmen?

Ein Nein ist in diesem Fall einfach gesagt, aber eine andere Lösung nicht ganz leicht zu ermöglichen. Was schlagen Sie vor?

Um es auf den Punkt zu bringen: Jedes Krankenhaus sollte über einen Radiologen verfügen. Dafür sollte die Gesellschaft Geld bereitstellen. Umgekehrt appelliere ich auch an die radiologische Zunft: Sie muss zeigen, dass die Rolle des Radiologen eine unverzichtbare ist. Zum Beispiel, indem wir noch stärker in die Kommunikation mit den klinischen Bereichen einsteigen und den – ich nenne es mal so – Servicegedanken weiter ausbauen.

Quelle: VISUS VIEW Nr. 11, 10/2015, www.visus.com

veröffentlicht am Dienstag, 3. November 2015