Deutsche Röntgengesellschaft e.V.
Florian Schneider
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Liebe Kolleginnen und Kollegen,Prof. Dr. Norbert Hosten
der Kollege Michael Forsting hat als Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft 2011 bis 2013 in seinen Thesen zur Zukunft der Radiologie den Begriff der „Bildgebenden Medizin“ mit Hinweisen zur entwicklungsfähigen Vernetzung verknüpft. Der in freier Berufsausübung tätige Arzt auf der einen Seite, die unendlichen Möglichkeiten der vernetzten Archive auf der anderen Seite – ich glaube, dass dies die Pole sind, zwischen den sich unser Fach bewegt. Nachfolgend einige Gedanken dazu.
Von den Schwierigkeiten radiologischer Nutzenbewertung
Die extrem kurzen Innovationszyklen in unserem Fach haben dazu geführt, dass radiologische Wissenschaft in Teilen zu etwas mutiert ist, was man provokant als „test drive“ für die neuesten Modelle der Geräteindustrie bezeichnen kann. Jede Gerätegeneration kann mehr als die vorhergehende, jede Generation macht schönere Bilder. Doch wozu? Mit welchem Nutzen für den Patienten? Die Strahlentherapie als verwandtes Fach hat es da einfacher. Das „Überleben“ beziehungsweise die „Dauer des rezidivfreien Überlebens“ sind markante Punkte, an denen sich der Erfolg strahlentherapeutischer Arbeit messen lassen muss und kann.
Unser Fach steckt in einem Dilemma: Die radiologische Arbeit, selbst die interventionelle, ist so eng mit dem gesamten Behandlungsverlauf, mit der gesamten Krankengeschichte der Patienten verbunden, dass es schwerfällt, den Einfluss einzelner radiologischer Maßnahmen wissenschaftlich ehrlich zu taxieren. Kenngrößen der Radioonkologie – „Überleben“, „rezidivfreies Überleben“- greifen nicht. Soweit des Dilemmas erster Teil.
Evidenz gilt alles
Des Dilemmas zweiter Teil: Die entwickelten Gesellschaften sind heute in aller Regel nicht bereit, mehr für die medizinische Versorgung zu bezahlen. Gesundheit und medizinische Gesunderhaltung werden als Kostenfaktor wahrgenommen, als zu drückender Posten der Lohnnebenkosten.
Doch Medizin ist nicht Konsum, Medizin sind Kosten. Was das bedeutet, wissen wir alle. Innovation ist nur mit Neuverteilung beziehungsweise Umverteilung zu haben. Methoden wie die PET-CT, von der PET-MRT ganz zu schweigen, sind prominente Beispiele dafür, wie Innovationen, die von Ärzten und Patienten sehr hoch geschätzt werden und die den Patienten nutzen, von den Kostenträgern nicht bezahlt werden. Der Hauptgrund: die zu hohen Kosten. Das Argument, das ins Feld geführt wird: die fehlende Evidenz der Methoden.
Big Data: ein neuer Weg zur Evidenz
Der klassische Kausalitätsnachweis in der klinischen Medizin ist die randomisierte, prospektive klinische Studie wie sie in der angelsächsischen Welt perfektioniert wurde und seitdem global eingesetzt wird. Aus den oben geschilderten Gründen ist sie in der Radiologie schwer zu verwirklichen.
Doch in der nicht-medizinischen Welt haben sich längst andere Formen der Evaluation von Kausalitätszusammenhängen durchgesetzt. Das Internet der Dinge muss für den wirtschaftlichen Nutzen einer einzelnen Firma nicht unbedingt wissen, wie der Reiz beschaffen sein muss, der einen Kunden A zum unbedingten Kauf eines Produktes B führt. Zur Optimierung der Absatzzahlen reicht es aus zu wissen, mit welchen Reizen ich möglichst viele Produkte an einen möglichst großen Kundenkreis verkaufe.
So kritisch es möglicherweise zu sehen ist und so lästig es uns sein mag, wenn Produktempfehlungen auf diesen Algorithmen basieren, in der Ethik hat das Prinzip „Der größtmögliche Nutzen für die größtmögliche Anzahl von Menschen“ einen sehr hohen Stellenwert. Diese Informationen kann aber Big Data mit den in anderen Branchen etablierten Methoden auch für unser Fach liefern. Die Algorithmen sind bekannt.
Und die Radiologie? Die Mehrzahl unserer Bilder liegt digital vor und ist damit prinzipiell global verfügbar. Doch der wissenschaftlichen Auswertung steht etwas entgegen, das ich Zerstreuung nenne. Jede Abteilung hat magnetresonanztomographische Untersuchungen von seltenen Knochentumoren. Es gibt aber kein Verzeichnis, das den Zugriff auf alle seltenen Knochentumoren, die zurzeit in unseren Häusern archiviert sind, ermöglichen könnte. Für den Nachweis, dass eine mit Kontrastmittel oder Diffusionswichtung durchgeführte MRT zu längeren Überlebenszeichen führt als eine native MR, wäre aber genau dies erforderlich.
Big Data macht es vor. Vor macht es uns auch die Mammographie, soweit sie im Screening zusammengefasst ist. Bei allen Schwierigkeiten, diese Methode in ihrem Stellenwert für die Patientinnen und für die gesunden Frauen wissenschaftlich exakt zu definieren: Die Patientenzahlen, auf denen die aktuelle Veröffentlichungen basieren, sind absolut einzigartig. Das gibt es für keine andere Indikation und Modalität.
Natürlich müssen die Menschen, deren Daten wir verwenden, zustimmen; natürlich muss der Datenschutz gewährleistet sein und natürlich brauchen wir ein Ethikvotum für jede einzelne Studie. Hier müssen wir besser sein als die Konzerne, freiberuflich-ärztlich eben.
Kooperation ist das Zauberwort
Die Akademie der Deutschen Unfallchirurgen verfügt über eine beeindruckende Sammlung an klinischen Daten zu verunfallten Patienten in Deutschland. Sie hat in den letzten Jahren begonnen, Möglichkeiten zum Austausch radiologischer Bilddaten zu schaffen. Das hat nicht allen von uns gefallen. Viele von uns haben technische Präferenzen, die sie gerne erfüllt sehen. Dies ist unser gutes Recht.
Aber es stellt sich die Frage: Sollten wir nicht die Zugriffsmöglichkeiten auf diesen Schatz an klinischen Informationen und Bilddaten, an deren Entstehung wir ja beteiligt waren, nutzen? Die DRG hat deshalb einen Kooperationsvertrag mit der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie geschlossen, der den gemeinsamen, wissenschaftlichen Zugriff auf diesen Schatz ermöglicht. Sicherlich ist der Weg steinig. Aber eine Untersuchung an 100.000 Unfallopfern mit der Fragestellung, ob die 40.000, die an einem CT der höchsten Entwicklungsstufe untersucht wurden, nicht besseres Überleben zeigen, als jene 60.000 an älteren Geräten – ist das nicht ein Ziel, für das es sich lohnt, mit den klinischen Kollegen gemeinsam zu arbeiten?
Schwarmintelligenz – zu komplex für uns Radiologen?
Die Vielzahl der Bilddaten will natürlich erst einmal gesichtet werden. Wer jemals 30 Untersuchungen für eine ROC-Analyse vorbereitet hat, weiß, wie schwer das im klinischen Alltag zu verwirklichen ist. Wie sollen die riesigen Datenmengen ausgewertet werden? Sind digitale Auswertungsverfahren wirklich die einzige Möglichkeit?
Auch hier bietet die allgemeine Lebenswirklichkeit in unserer Gesellschaft Lösungsansätze. Menschen sind bereit, sich für Zwecke, die sie als sinnvoll ansehen zu engagieren. Tausende haben auf den im Netz verfügbaren Satellitenfotos vom Indischen Ozean nach Trümmern des verschwundenen Flugzeuges MH 307 gesucht. Ohne Vergütung wohlgemerkt.
Die Durchsicht von radiologischen Bildern auf ein einzelnes, gut zu definierendes Kriterium ist keine komplexere Aufgabe. Schulungs- und Qualitätsalgorithmen haben unsere epidemiologischen Kollegen entwickelt. Wer hindert uns, 100.000 CT-Bilder im Netz verfügbar zu machen und die radiologische Community zu bitten, nach polymorphen Verkalkungen, nach Rundherden, nach Zipfelmützen an den Halsgefäßen von verunfallten Menschen zu suchen? Oder dies auf den 10.000 Befundworkstations unseres Fachs in Deutschland anzubieten?
Die Radiologie als technikbasierte Disziplin hat die enorme Chance, die hier nur angerissenen Möglichkeiten neuer, wissenschaftlicher Partizipationen zu nutzen. Ich freue mich, ganz in diesem Sinne mit Ihnen in den Austausch über diese Möglichkeiten zu treten!
http://www.auntminnieeurope.com/index.aspx?d=1&sec=sup&sub=pac&pag=dis&ItemID=610010